In eigener Sache

Samstag, 25. Dezember 2010

oder: ich werfe hin!

Es geht dem Ende zu, dieses Jahr ist gerade dabei, sich zu erschöpfen. Und erschöpft ist auch derjenige, der sich hier täglich in Buchstaben und Sätze, politischen Unrat und gesellschaftlichen Kehricht wirft. Weil derjenige erschöpft ist, wirft er hin...

Für einige Tage wohlgemerkt! Nur wenige wissen, und es sollten auch gar nicht alle wissen müssen, dass es für ihn ein schwieriges Jahr war - vielleicht das schwierigste seines Lebens, auch wenn man das heute noch nicht sagen kann, weil es zunächst eines zeitlichen Abstandes bedarf, um vergleichen zu können. Ein Jahr der Abtritte: da gingen welche und hinterließen Trauer, weil sie dem Tode überstellt wurden; da gingen welche und hinterließen Frohsinn, weil sie sich werweißwem hingaben.

Der hiesige Publizist schrieb vor einem Jahr, dass der Jahreswechsel eine künstliche Verrichtung ist, weil Zeitskalen von Menschenhand geschaffen oder von Menschenhirn erfunden wurden. Daher hält er wenig von Feierlichkeiten, die etwas Neues besingen, was eigentlich nur das "Weiterrudern in längst vollzogenen Anfängen" ist, wie er damals schrieb. Grundsätzlich tendiert er noch immer zu dieser Sichtweise - Silvester ist ein künstlicher Markstein, nicht mehr, nicht weniger. Es frisst oder hungert, stirbt oder lebt, vögelt oder enthält sich 2011 wie 2010 - nichts wird anders, nichts wird besser sein; nichts wird sich radikal verändert anfühlen.

Gleichwohl, dieses künstliche Zeitengebilde, das wir 2010 nannten, es war für den Autor dieser bescheidenen Plattform eine beschissene Künstlichkeit. Er ist froh, wenn er nicht mehr 2010 hinter Daten kritzeln muß. Er weiß, dass der Abschluss des Jahres Menschenwillkür ist; und er will selbst willkürlich sein und den Jahreswechsel als seinen persönlichen Wendepunkt benutzen - der ist künstlich gewählt fürwahr, aber ihm könnte es helfen, um endlich das zurückzulassen, was ihn malträtierte. Die Zukunft, so hofft er oder meint er gar zu wissen, sieht rosiger aus...

In diesem Sinne wünscht er den Lesern dieser Aufmachung erholsame Feiertage und einen Übergang in 2011, der so sein soll, wie das gesamte Jahr mit dieser Kennzahl: gemütlich, ruhig, ohne tückische Überraschungen! Anfang des Jahres wird hier wieder publiziert, dann "feiert" ad sinistram, bescheiden und ohne Pomp, Kindergeburtstag - denn dann wird ad sinistram drei Jahre alt!



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In Ruhestellung

Freitag, 24. Dezember 2010

Zuunterst, obgleich Kerzen glimmen, Tannenbäume schimmern, die ganze Erde juchzt und feiert, zuunterst, brütet selbst zum Liebesfest die Wut. Weihnacht ist und alle Welt tut so, als denke sie an die Gosse, an diejenigen, die im Rinnstein verwesen, die aus dem Raster gefallen sind, die nun in der Jauchegrube bemüht sind, ihren Scheißegeruch zu tilgen. Weihnacht ist und der Gosse wird gedacht, all der armen Kretins wird gedacht, die sich waschen und waschen und immer wieder waschen, nur um diesen penetranten Geruch nach Stuhl und Harn auszuradieren. Waschen waschen, um am Ende nie aus dem gestankspendenden Abfluß der Gesellschaft zu enteilen, um endgültig darin eingezogen und wohnhaft geworden zu sein.

Zwischen Stank und Brodem, tief drunten, zuunterst, ist es Weihnacht. Und einmal im Jahr, nur ein einziges Mal im Jahr, wird nicht dorthin geschissen und geschifft, wo der gesellschaftliche Menschenabfall döst. Wenn Weihnacht ist, wird aus dem Penner, dem Erwerbslosen, dem Ausländer, dem prekären Arbeitsnomaden ein Mensch - ganz kurzfristig und nur kurzzeitig, ein Mensch mit Antlitz. Er mag in Schwaden aus Abgasen und Abfällen leben, eine Bruchbude sein Heim nennen, monatlich, wöchentlich die Gosse vor den Hütern und Vermittlern der Drangsalsanstalten kennenlernen und einatmen - doch zur Weihnacht darf er sich, soll er sich Mensch rufen. Ein Mensch, den man anlächelt, dem man hilft, dem man Fressen in den Napf spuckt, mit dem man in einem wirren, irrationalen Moment der Leutseligkeit womöglich sogar an einem Tisch speisen würde. Ein richtiger, ein wahrer, ein menschlicher Mensch!

Flüchtig des Miefs enthoben, von der Scheiße befreit, als Eiter, als Krebs, als Geschwür der Gesellschaft abgelöst, lichtet sich die Tristesse. Nein, wir sitzen gar nicht in der Gosse!, sinnieren die Stinkenden. Man akzeptiert uns doch! Neinnein, wir haben uns in denen getäuscht, die uns täglich die Köpfe vollscheißen und den breiigen Dung auch noch einmassieren! Es ist Weihnacht und die ganze Welt liebt die Armen, die Hungernden, die Resignierten. Vom schmierigen Gänsebraten blicken sie auf, zwischen Gebirgen von Geschenken linsen sie hindurch, dabei an jene denkend, denen es an jenem Abend schlechter ergeht. Oh, mein Reicher, was wärst du ohne mich? An wen könntest du denn im Anflug von Nächstenliebe denken, wenn ich arme Sau nicht wäre? Und dann ist das jährliche Spiel vorbei, ausgespielt, Weihnacht verfliegt, der Rausch gleich mit. Zurück bleibt der Kater, die Ernüchterung, bittere Erkenntnis und es kehrt heim der Urindampf, der Stuhlgeruch, das ganze unappetitliche Programm menschlicher Säftebildung.

Zuunterst brütet die Wut. Wenn sie romantisch und verträumt vom Fest der Liebe sprechen, ihre Humanität herauskehren, zum Weihnachtsfest Abendessen für die Einsamen spendieren, während die Einsamen dreihundertvierundsechzig Tage des Jahres weiter vereinsamen. Oh, wie brütet die Wut, wenn sie so tun, als wären sie auf ihren Nächsten bedacht, auch auf jenen Nächsten aus der Pissrinne, bloß um letzten Endes die magische Nächstenliebe jenes Abends zu vergessen. Vergessen, damit sie sich ihrer Peinlichkeit, ihrer Sentimentalität nicht schämen müssen. Wie faucht die Wut, wenn oberhalb des Abschaums Liebe psalmodiert wird, um am anderen Tage wieder pflichtgemäßer Ausbeuter, Unterdrücker, Aufwiegler, Schlächter zu sein! Wie sehr waltet doch die Wut, wenn sie Humanisten spielen, Mildtätige darbieten, Selbstlose karikieren. Wie elend erbricht sich die Wut, wenn sie Interesse heucheln, damit sie tags darauf darüber schwatzen können, was für feine Barmherzige sie doch sind, was für elende, einschläferungswürdige Stinker sie hofieren durften. Meterweit kotzt die Wut sich im hohen Bogen aus, wenn dann all diese Liebenden, Mitfühlenden, Verständnisvollen wieder an ihren Posten und Pöstchen strammstehen, die Gosse durch das Jahr hetzen, dem Erwerbslosen Engpässe und Bedrängnis schenken, dem Obdachlosen schiefe und entehrende Blicke, dem Niedriglöhner Spott und gute Ratschläge, wie er es zu etwas hätte bringen können. Meterweit kotzend, sich schier einscheißend vor Wut, wenn sie an die afrikanischen Kindlein denken, Blähbäuchlein mit Almosen tätscheln, von Minen gestiftete Bein- und Armstümpfe mit dem Balsam der Spendenquittung einreiben, nur um nach dem Weihnachtsurlaub die Waffenexporte zu expandieren, Diktatoren über die Köpfe afrikanischer Kindlein zu stellen, Blähbäuche zu verewigen, Kinderarbeit zum Sinnbringer zu erklären!

Im Dreck der Gesellschaft, in der Talsohle, zeichnet sich das Fest der Liebe durch blanke Wut aus. Die Pissrinne liebt keiner, man kann sie sich zur Weihnacht noch so sehr schönsaufen, sie bleibt immer feucht, glitschig, stinkend. Das Fest der Wut! Vor diesem institutionalisierten Schauspiel, jährlich gegen Ende des Dezembers veranstaltet und aufgeführt, kann man nicht aufrechten Standes harren. Man faßt sich an den Bauch, beugt sich vorneüber und es geschieht - speiübel erträgt man den jämmerlichen Rest des Abends, darauf wartend, ab dem morgigen Tage wieder ein Penner zu sein, ein Nichts, ein Niemand, ein Verlierer, der letzte Dreck, Freiwild, auf das die Hetzredner und Fanatiker ungestraft ballern dürfen. Zuunterst, durch die braune Brühe der darüberstehenden Schichten watend, wünscht man sich traditionellerweise ein frohes Fest. Blanker Unsinn, romantisches Brauchtum und Schwärmerei! Denn zuunterst weiß man, frohe Feste feiern andere, in der Gosse atmet man nur einen Abend durch, ist man einen Abend entlastet, geduldet sich flüchtig in Ruhestellung, um den Kampf morgen wieder aufzunehmen.

Dieser Text erschien bereits im Vorjahr zur Weihnachtszeit.



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Lobet und preiset den Herrenmenschen

Donnerstag, 23. Dezember 2010

Wer hätte gedacht, dass der Tag kommen würde, da man Ihnen gratulieren muß, Sarrazin? Trotz allem, Sie scheinen doch eine ganz vernünftige Type zu sein. Weshalb, fragen Sie? Sie können es wahrscheinlich selbst kaum glauben, was? Nun gut, sehen Sie...

Einer Ihrer Kollegen, ein Genosse, oder sagen wir, ein ehemaliger Genosse, tritt nun auf Kommunalebene für die NPD an. Wie der Mann heißt ist unspannend, man wird seinen Namen sowieso in Zukunft nicht mehr vernehmen - was uns aber interessiert ist: dieser Mann, er trägt seine psychotischen Affekte in eine Partei, die sich offen zum (Sozial-)Rassismus bekennt. Vielleicht ist mein Weltbild dort besser aufgehoben, wird er sich gedacht haben. Dort brauche ich dieses sozialdemokratische Feigenblatt nicht, muß diese verlogene Eigenart nicht vorexerzieren, stets auf fürsorglich und sozialstaatlich zu machen, obwohl dergleichen Attribute schon lange im Orkus des Seeheimer Kreises versumpft sind. Bei der NPD kann ich diese Verlogenheit ablegen, könnte sein Motiv gewesen sein - hier bin ich, hier darf ich sein!

Das klingt als Argumentation sicherlich alles vernünftig - ist es aber nicht! Es ist schrecklich feige! Dieser Ex-Genosse von Ihnen, Sarrazin, er ist ein Hosenscheißer! Sie sind aus anderem Holz, Sie sind beharrlich, nennen sich Sozialdemokrat und drücken dieser guten alten Institution Ihren unvergleichlichen Stempel auf - Sie geben dieser verlogenen Veranstaltung eine wirkliche, eine ganz realistische Prägung. Sie bleiben in dieser Partei, damit jeder zu erkennen vermag, wohin die kränkliche sozialdemokratische Gesinnung hindümpelt. Ihr Verdienst ist, dass Sie diesem trostlosen Haufen ein Profil verleihen - und nicht nur irgendeines, sondern genau das richtige Profil nach der schröderianischen Zeit. Erst Agenda 2010 mit allerlei sozialhygienischen Sonderbehandlungen - dann das dazugehörige Weltbild und der dogmatisch-pseudowissenschaftliche Überbau. Nun ja, üblicherweise läuft es andersherum, normalerweise baut man erst über, bevor man nach dem neuen Leitbild lebt; aber Sie können dafür nichts - Sie haben dafür gesorgt, dass Ihre Partei gerade noch die Kurve gekriegt, das heißt: Profil bekommen hat.

Und das, Sarrazin, das sollte man Ihnen mal laut und deutlich und mit dankendem Unterton mitteilen. Danke, Sarrazin, dass Sie nicht zur NPD wandern, obwohl Sie dort eine Führergestalt wären, obwohl Sie dort als dickster Brummer auf dem Scheißhaufen krabbeln dürften. Dass Sie der SPD treu bleiben, damit die SPD auch darstellt, was sie letztlich ist: eine Partei, die sich offen sozialhygienisch gibt, obwohl sie das gerne übertüncht - das ist Ihr unbezahlbares Verdienst. Ihr Kollege, der nun kommunal bei den Nationaldemokraten kaspert, hat das nicht verstanden: er hat seiner Partei das notwendige Profil der nachschröderianischen Ära entzogen - dabei sind Sarrazins und Buschkowkys dringend nötig!

Der sozialdemokratische Sozialrassismus braucht schließlich einprägsame Gesichter! Würden alle Freunde der gesellschaftlichen Hygiene aus den bürgerlichen Parteien der Mitte ausscheiden, dann müsste man ja fast annehmen, der Extremismus sei lediglich ein Problem in einigen sektiererischen Parteien am Rande des Spektrums - Sarrazin, Sie bleiben mittig sitzen, damit man zumindest erahnt: die Mitte ist extrem! Einen solchen Herrenmenschen sollte man loben und preisen...



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Im Arsch

Mittwoch, 22. Dezember 2010

Kerner war ja immer schon unerträglich, schlug einem halbwegs denkfähigen Menschen immer schon schrecklich auf den Magen. Als er damals bei ran einen Sportmoderator spielte, konnte man ihn ja noch ertragen, waren doch jene Passagen, in denen er plauderte recht kurz - und harmlos waren sie zudem. Später dann, als er einen künstlichen Gute-Laune-Talk zur Mittagsstunde anbot, damals noch im Dunstkreis der entsetzlich farblosen Vera Int-Veen auf Sat 1, da schlug sein Nervensägenpotenzial bereits gehörig durch - doch seitdem er abendlich beim ZDF quatschte, hat er den Sprung zum political correct-Talkmaster, zum Meister der abgegriffenen Worthülse, endgültig vollzogen - als er zu seinem Haussender zurückkehrte, nahm er diese Aura einfach im Koffer mit.

Dass er aber nun einen deprimierenden Bob Hope für deutsche Soldaten mimt, der einen Kriegseinsatz auflockern und zudem wohnzimmergerecht aufbereiten soll, es läßt einen schaudern. Hope galt stets als lausiger Unterhalter, seine Gags waren grobschlächtig und plump - in dieser Tradition steht auch Kerner, der mit seiner Show auf etwa demselben Level trottete, nur dass es eben keine erzählten Witze waren, die er seinem Publikum anbot: nein, seine ganze Sendung war ein elender Witz.
Es ist durchaus bekannt, dass sich Kerner stets seinen Gesprächspartner körperlich annähert, näher, immer näher rückt, dabei ergriffene, manchmal auch devote Fragen stellt. Das ist eben seine Kunst: den Gesprächspartnern schier physisch beschwörend zu entlocken, was jeder schon wusste oder was keinen interessiert - ins Kreuzfeuer nimmt er niemanden, das wäre nicht politisch korrekt und nicht weichgespült genug. Wie er sich aber an den boulevardesken Sonnenschein der deutschen Politik anschmiegte, wie er stets auf der Suche war, Guttenbergs Enddarm zu ertasten, um diesem ordentlich in den Arsch kriechen zu können, das hatte ganz neue Qualitäten!

Man ist ja vieles gewohnt - nicht nur von Kerner, sondern von dieser ganzen Sippe von Hofberichterstattern und Katzbucklern. Aber wie Kerner da dem Kriegsminister in den Anus schlüpfte, fast schon körperlich, als wollte er mit dem Gesicht voran hineinrobben, mit der Nase voraus zum Rektum, das ist selbst für die deutsche Fernsehlandschaft, die ja wirklich gänzlich unverdächtig ist, ein Idyll freier Berichterstattung zu sein, eine perverse Neuartigkeit. Mit derlei Showelementen klebt nicht nur Kerner im Arsch eines Ministers: das deutsche Fernsehen ist dort ebenfalls - nämlich total im Arsch!
Sicher, viel war da nicht mehr, durch manche Ritze blitzte zuweilen noch eine Neige von Aufrichtigkeit - aber sonst ist das deutsche Fernsehen, gerade ja auch die privaten Sendeanstalten, von dem gezeichnet, was sich zuweilen aus Ärschen quetscht. Aber dieser Schritt, Kerner aus Afghanistan senden zu lassen, den Krieg zu schönen, ihn familiengerecht zu präsentieren, die Leiden der Soldaten rauszuputzen, während das Elend der dortigen Bevölkerung verschwiegen wurde - zudem die Arschkriechereien beim Minister: so unglaublich tief ist Fernsehen bislang selten gesunken; so unglaublich tief war man bislang selten im Arsch der Politik und der Kriegsgewinnlerwirtschaft gesteckt!



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Sit venia verbo

Dienstag, 21. Dezember 2010

"Im Kapitalismus ist eine Religion zu erblicken, d.h. der Kapitalismus dient essentiell der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen, Unruhen, auf die ehemals die sogenannten Religionen Antwort gaben. [...] Das Christentum zur Reformationszeit hat nicht das Aufkommen des Kapitalismus begünstigt, sondern es hat sich in den Kapitalismus umgewandelt."
- Walter Benjamin, "Kapitalismus als Religion" -

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Aktuell in Ewigkeit?

Montag, 20. Dezember 2010

oder: ein wenig in eigener Sache, so kurz vor Ende eines quälenden Jahres.

Ein Jahr ist es nun her, dass ich meinen Erstling auf den Markt der schönen Eitelkeiten werfen ließ. Aus dem, der rein in Pixeln publizierte, ist einer geworden, der altmodisch Seiten mit Tinte schwärzt. Eine Eintagsfliege, meinte ich ursprünglich - ich habe mich geirrt, mehr dazu aber gleich.

Ich schrieb seinerzeit über die Absurdität desjenigen, der sich täglich ins Getümmel des gedruckten Wortes wirft; über das Leben als Ausländer in Deutschland; über bärtige Sozialrassisten; über Behördenallerlei; über faschistoides Gedankengut - ich hätte Unzugehörig auch ab heute zum Verkauf feilbieten können: denn die Inhalte sind immer noch aktuell, vielleicht sogar noch aktueller als damals. Als ich ehedem unter dem Titel "Heldenmut" einen schemenhaften Kriegsminister anblaffte, da hampelte in diesem Ministerium noch ein wortkarger Gartenzwerg durch die Flure - das Buch erschien zwar im Dezember und da war bekanntlich schon der fesche Theodor am Ruder, aber der Text wurde bereits vorher, im September oder Oktober geschrieben, als noch der Geistesgnom fuhrwerkte. Kurzum, heute turnt ein lasziv mit den Kameraobjektiven schmusender Blaublüter durch die Szenerie - und alles was in "Heldenmut" zu lesen ist, gilt heute gleichfalls: nur noch verstärkter!

Selbst jener Text, der sich mit dem Mord an Buback befasst, kann noch nicht ad acta gelegt werden. Immer wieder rollen sie jenen Fall auf, wieder und wieder - und stets wollen sie wissen, wer war der Mörder, wer der Fahrer, wer Mitwisser, wer hat die Mörder verköstigt und ihnen die Haare geschnitten. Mit Stumpf und Stiel will man diese terroristische Mischpoke ausrotten - dass es sie schon gar nicht mehr gibt, das vertuscht jener Schaum vorm Mund, der bis über die Augen hochquellt und klare Sicht verbietet. Unseren ewigen Buback gib uns heute!
Es ist, wie es schon letztes Jahr war und im nächsten sein wird.

Daher könnte ich mich nun zurücklegen und selbstzufrieden sagen, es reiche ja, dass ich ein Buch auf dem Markt habe, welches arg an Aktualität leidet, womit ein weiteres Exemplar gar nicht mehr nötig wäre. Sage ich aber nicht!
Im Januar des kommenden Jahres wird ein weiteres Buch erscheinen, das den Titel "Auf die faule Haut - Essays & Anderes" trägt. Darin werden Texte zu finden sein, die noch nicht publiziert wurden. Ich hoffe, wie jeder, der Bücher schreibt, auf weite Verbreitung und auf Rückmeldung seitens der Leser. Ob die darin enthaltenen Essays auch noch Ende 2011 oder sogar 2012 zeitgemäß sind, kann man freilich nicht felsenfest behaupten - man kann es aber zumindest felsenfest erahnen. Womöglich noch ein wenig posthume Ehre, die ich mir gesichert habe...

"Unzugehörig - Skizzen, Polemiken & Grotesken" ist erschienen im Renneritz Verlag - "Auf die faule Haut - Essays & Anderes" wird ebendort erscheinen. Zudem können Sie, wenn Sie mögen, ad sinistram unterstützen. Entweder per Paypal (siehe rechte Seitenleiste) oder über den gewöhnlichen Bankweg. Hierzu ließe ich den Datenschutz ruhen und teilte Ihnen gerne meine Kontodaten mit.



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Es war nie anders

Samstag, 18. Dezember 2010

Wie sagten Sie, junger Mann? Enthüllungswas? Enthüllungsjournalismus? Sie sind sich sicher, dass Sie das so irgendwo gelesen haben? Ich frage, weil mich das nur wundert. Ich habe diese Komposition zweier Substantive von so gegensätzlicher Wesensart, noch nirgends gelesen.
Ein historischer Begriff, meinen Sie? Nun, ich bin Linguist, kein Historiker, aber ich bin mir sicher, dass Sie da etwas missverstanden haben, junger Mann! Warten Sie bitte mal, ich rufe mal schnell zu meinem Kollegen rüber, der ist Medienhistoriker, der soll mir die Sache mal erläutern.
Bleiben Sie bitte sitzen, ich bin gleich zurück.

Nun, junger Mann, Sie lagen da tatsächlich richtig. "Enthüllungsjournalismus" ist ein Begriff des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts, der sich bis zum Anfang unseres Jahrhunderts hielt. Mein Kollege behauptet nun, dass dieses Wort für etliche Furore bei der gegenwärtigen Fachwelt gesorgt habe. Vor wenig mehr als einer Dekade, zwischen den Jahren 2060 und 2070, habe der so genannte Enthüllungsstreit unter den Experten getobt. Die einen behaupteten, es sei ein Kunstwort aus späteren Tagen, weil sich zweierlei Nomen, die so gegensätzlich sind wie jene, gar nie hätten zu einer Komposition verschmelzen lassen - und weil es überhaupt so eine schiefe Form des Journalismus nie gegeben haben kann! Andere schwörten darauf, dass es etwas wie Enthüllungsjournalismus tatsächlich gegeben habe. Mein Kollege tendiert natürlich zur ersten Variante, er ist immerhin Realist und Kenner der Mediengeschichte. Letztlich, so sagte er, habe sich diese Variante im Enthüllungsstreit auch durchgesetzt.

Die Jünger der Enthüllungsjournalismus-These seien demnach so naiv zu glauben, es hätte etwas wie eine enthüllende Bewegung der berichtenden Zunft gegeben, die versucht war, auf dem Wege des legalen Journalismus, Dinge ans Tageslicht zu fördern, die dort gar nichts zu suchen hatten. Sie kennen ja sicher diese Geschichten über diese Transparenzterroristen, junger Mann, die haben Sie sicherlich damals im Geschichtsunterricht durchgenommen - Sie wissen schon, diese Bande um diesen australischen Blutsäufer. Aber das waren ja auch keine Journalisten, das waren Terroristen - Geschwüre am journalistischen Handwerk. Jedenfalls behaupten diese linken Spinner, dass es auch handfeste Journalisten gegeben hat, die enthüllt haben. Stellen Sie sich das nur mal vor! Welcher Missbrauch von Journalismus hätte das denn sein müssen! Das steht ja dem, was Journalismus ist, diametral entgegen!

Sehen Sie, es hat da wohl eine Weile etwas wie Pressefreiheit gegeben. Mein Kollege hat mir knapp erläutert, dass das wohl so eine Art Bekenntnis dieser Zunft gewesen ist, das aber wenig reale Auswirkungen hatte. Zu Anfang unseres Jahrhunderts ist man immer mehr davon abgekommen, man wollte keinen falschen und irrelevanten Bekenntnissen nachjagen, pragmatischer sein. Außerdem wollte man sich vor denen, die im Namen der Transparenz empfindliche Daten an die Öffentlichkeit brachten, distanzieren. Der Journalist war ja nicht auf Transparenz aus - und daher durfte die Presse auch nicht zu frei sein. War sie ohnehin nie! Aber dieses sowieso tote Postulat der Pressefreiheit konnte natürlich fehlgedeutet werden und so hob man es auf - nicht der Staat tat das, die Medienanstalten selbst waren verantwortungsvoll genug, diesen Schritt zu gehen. Man wusste ja, was man der Gesellschaft schuldig war. Der Journalismus erkannte, dass zu viel Offenheit der Gesellschaft Schaden zufügen könne - und er war ja nie offen, aber jene, die im Namen etwaiger Freiheitsrechte Transparenz feilboten, die warfen natürlich einen Schatten auf den Journalismus.

Kurzum, man tat das, was man eigentlich schon immer tat, nur diesmal bewusster: man bildete die Realität so ab, dass die braven Bürger einen wohligen Schlaf haben konnten und die schlechten Exemplare Schlaflosigkeiten zu behandeln hatten. Journalismus eben! Die Nachzeichnung dessen was ist, bereichert um den Zierat derjenigen, die herrschen! Journalist zu sein bedeutet verantwortungsvoll zu sein, bedeutet durch die Augen der herrschenden zu blinzeln - mit Enthüllung hatte dieses Geschäft nie etwas zu tun. Wer das heute behauptet, der sitzt einem phänomenalen Irrtum, einer Geschichtslüge auf.
Denken Sie doch mal logisch, junger Mann! Und überhaupt: was gäbe es denn zu enthüllen? Die Herrschenden sagten uns, sagen uns und werden uns immer sagen, was Sache ist - es gab und gibt kein Potenzial für Schauermärchen über Enthüllungen. Und noch was sollten Sie sich gesagt sein lassen, bevor Sie erneut danach fragen: Ja, Journalisten waren immer schon staatliche Beamte - es war nie anders; mein Kollege, dieser erwiesene Fachmann, hat mir das als Information an die Hand gegeben. Es war nie anders, hören Sie...



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Der Engel der Armen

Freitag, 17. Dezember 2010

Wie enthusiastisch sie die Opposition zur Kooperation ermahnt! Wie kämpferisch sie die röchelnde Reform zu reanimieren versucht! Jetzt greift Merkel ein!

Es gab in den letzten Tagen ja einige textliche Machwerke, quer verteilt durch alle möglichen Zeitungen, die sich zum Anwalt derer aufrafften, die von Leistungen nach SGB II leben müssen. Da das Vorhaben, nach welchem zum Beispiel Kinder aus sogenannten Hartz IV-Familien per Gutschein stigmatisiert werden sollen, im Bundesrat scheitert, seien es nun die Hartz IV-Empfänger, die darunter zu leiden haben - deren Kinder würden gutscheinlos ins neue Jahr treten und die diffizil errechnete Erhöhung von fünf Euro monatlich, sie fällt auch ins Wasser. Das sei eine unermessliche Enttäuschung für alle, die schon fest mit diesen fünf Euro gerechnet haben.

Und wer ist schuld? Natürlich, die Opposition, diese querulantische Brut! Was sind das nur für Politiker, die nicht mal den Ärmsten fünf Euro gönnen? Und daher: Merkel übernehmen Sie! Wirken Sie auf die Mäkler ein, mahnen Sie Eile und Vernunft an, berühren Sie ihr Herz, damit sie passend zur weihnachtlichen Stimmung etwas großherziger werden! Und wie schwärmerisch sie spricht, wie glühend ihr Auftritt verpufft! Der Engel der Armen wagt sich in die Höhle der Geizhälse, um für die Bedürftigen fünf Euro herauszuholen! Es weihnachtet halt sehr und so ein Himmelfahrtskommando, das am Ende eine frohe Kunde bereithält, steht doch der Matrone mit Richtlinienkompetenz gut zu Gesichte. Meine geschätzten Arbeitslosen, tritt sie dann vor die dankbaren Massen, es war nicht leicht, ich habe mir Blessuren eingehandelt, aber für euch, die ihr es so nötig habt, habe ich fünf Euro monatlich aus dem Feuer geholt! Solange ich bin, ist Fürsorge mit euch!

Und dann werden die Zeitungen schreiben, die Nachrichten erzählen, dass Merkel wahrlich Größe bewiesen hat. Sie habe Autorität und sei das inkarnierte soziale Gewissen dieser Republik. Ein Engel der Armen, die einzige, die wirkliche Erbin Rosa Luxemburgs! Zwar sei sie auf gefährlichen Abwegen, weil sie die Sozialdemokratisierung endgültig beschritten hätte, würden einige als Lehre aus dieser Geschichte ziehen - aber ihr gutes Herz, wer will es zur besinnlichen Zeit des Jahres angreifen? Danke Angela!, so wird sich mancher Arbeitsloser in einschlägigen Revolverblättern zu Wort melden, danke liebe liebe Angela! Auf die Politik ist kein Verlass, aber auf dich können wir immer zählen!

Und der Chor der Bedürftigen betet ganz nabuccisch zu Ehren der heiligen Angela: ...und ob wir schon wanderten im finsteren Tal, fürchten wir kein Unglück; denn du bist bei uns, dein Stecken und Stab trösten uns. Du bereitest vor uns einen Tisch im Angesicht unserer Feinde...



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Ridendo dicere verum

"Herr Keuner sagte: Schwierig ist, diejenigen zu belehren, auf die man zornig ist. Es ist aber besonders nötig, denn sie brauchen es besonders."
- Bertolt Brecht, "Zorn und Belehrung" -

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Die mediale Darstellung zweier Herren

Donnerstag, 16. Dezember 2010

Die deutsche Medien- und Berichterstattungskultur neigt zur Qualität - zur qualitas, wovon sich Qualität ja ableitet, übersetzt also: sie neigt zur Beschaffenheit. Damit ist nicht viel ausgedrückt, nichts zum Wert gesagt, ist letztendlich nur in den Raum gestellt, dass die deutsche Medien- und Berichterstattungskultur eine Beschaffenheit besitzt - so wie alles auf dieser Welt. Und jene Beschaffenheit ist, dass sie tendenziös ist, manipulativ und verzerrt; jene Beschaffenheit ist, dass sie ihren Konsumenten ein Weltbild beschafft, das nicht objektiv und neutral ist, sondern die Summe herrschender Interessen.

In diesem Sinne gilt Julian Assange als Verbrecher; Silvio Berlusconi aber, der nun zeitgleich durch die Journaille geistert, wenn er schon nicht gefeiert wird, wird jedoch nicht mit kritischem Journalismus konfrontiert. Assange, der für Transparenz einsteht, wird inhaftiert und die schreibende Zunft baut hinter diese Dreistigkeit eine breite Kampagnenfront; über Berlusconi aber, dessen einzige Transparenz darin bestand, schüchtern zuzugeben, dass er der alleinige Herr des italienischen Informationsmarktes ist, wird relativ neutral und wertfrei berichtet. Assange ist Krimineller, weil er die verdeckten Handlungen im Namen der Öffentlichkeit ebenjener überstellte; Berlusconi ist kein Krimineller, obwohl er sich seine mediale Präsenz ungesetzlich erschlichen hat, in seinem Lebenlauf manches krumme Ding vorzuweisen hat. Assange ist Terrorist, weil er Klarheit in die Läufe der Politik und der Wirtschaft bringen wollte; Berlusconi ist tolerierter Staatsmann, obwohl er die Konsumenten seines Medienimperiums mit Titten und Wahlkampfparolen terrorisiert. Sperrt Assange lange weg, rufen sie, er hat fundamentale Umgangsformen verletzt; Samthandschuhe für Berlusconi, benutzen sie, immerhin ist er der gewählte Repräsentant seines Landes, auch wenn er die Umgangsformen eines italienischen Rottenführers an den Tag legt.

Man sieht, der deutsche Journalismus birgt Qualität, birgt Beschaffenheit - sie ist nur nicht hochwertig, nicht gut; sie ist einfach irgendwie beschaffen, schlecht beschaffen, von beschissenem Niveau. WikiLeaks fährt, auch dank des Journalismus', die Weihen einer Hexenjagd ein - Berlusconi und sein antiziganistischer, rassistischer und informationsdefizitärer Habitus darf sich mit halbwegs akzeptabler Berichterstattung herausputzen. Dieser besticht zwar Abgeordnete, um nicht aus seinem Amt scheiden zu müssen, gleichwohl kaum davon berichtet wird, weil man solche Bestechungen ja schlecht nachweisen könne - Assange gilt aber als Krimineller, als Vergewaltiger, als Bestie: eines Beweises bedarf es dazu nicht; da ist man gerne gutgläubig. Der Australier, so liest man heraus, habe ein seltsames Verhältnis zu Frauen - der Italiener legt jedes Püppchen in seinem Umfeld flach und erhält anerkennende Schulterklopfer. Hie erklärt man jemanden zum Helfershelfer von Terroristen; dort ist einer Terrorist, der Helfershelfer rekrutiert, dafür aber kaum gescholten wird. Assange ist Produkt der Meinungsfreiheit; Berlusconi will dieses Produkt aus seinen Sendeanstalten weitestgehend raushalten. Assange macht Regierungen und Konzerne weinen, weil die Menschen nun bestimmte Mechanismen schwarz auf weiß nachvollziehen können; Berlusconi hält Entertainer seines Imperiums an, vor der Kamera zu weinen, um seinen Wahlsieg zu forcieren.

Und was macht der Print, was das Fernsehen? Sie machen aus einen einen Schwerverbrecher und aus dem anderen einen Staatsmann; der eine ist Terrorist, der andere trickreicher Cavaliere. Und das alles läuft auch noch synchron. Man schämt sich nicht mal dafür, gleichzeitig zweierlei hanebüchene Kampagnen zu fahren, die sich bei rudimentärer Denkfähigkeit der Konsumenten zwangsläufig in die Quere kommen müssen. Stattdessen Floskeln, Assange würde die Welt bedrohen - dass aber Berlusconi auf Europa abstrahlt, dass er der feuchte Altherrentraum europäischer Regierungen ist, dass man auch gerne potente Medienpräsenz hätte - man beachte nur, wie man das ZDF politisieren wollte und will! -, alledem findet sich als Aussage nirgends.

Und bei alledem kristallisiert sich heraus, warum man Assange verachtet: er ist kein Journalist, aber er tut das, was kritischer Journalismus tun müsste - er deckt auf! Er ist das schlechte Gewissen der Zunft; Berlusconi ist einer der Geldgeber der Zunft - der eine ist Konkurrenz, der andere indirekter Dienstherr. Assange ist deshalb ein Verbrecher, weil er den Journalismus an eigene Tugenden erinnert, die er vergessen hat und an die er sich auch nicht mehr erinnern will; Berlusconi ist daher so erträglich, weil er vielen Kolleginnen und Kollegen Brot sichert.



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Eingeschränkt pazifistisch

Mittwoch, 15. Dezember 2010

Den Gräueln des Krieges war es zu verdanken, dass 1950 gut Dreiviertel der deutschen Bürger auf die Frage, ob sie, ihr Sohn oder ihr Mann wieder Soldat werden möchten, uneingeschränkt mit Nein antworteten - so berichtet es zumindest Gunther Latsch in seinem kurzen Essay "Lieber tot als Soldat". Der Pazifismus schien die junge Republik okkupiert zu haben - die Wiederbewaffnungsdebatte formierte kurze Zeit später junge Menschen, die keine neue Wehrmacht wünschten. Paradoxerweise aber, so erklärt Latsch, waren zwei Drittel der befragten Bürger allerdings auch der Anschauung, die Wehrmacht hätte bis 1945 ehrenhaft und tapfer gekämpft; die Hälfte vertrat sogar die Meinung, man sollte das Tragen von Wehrmachtsauszeichungen wieder erlauben - auch sei das Hakenkreuz auf den Orden "nicht so schlimm".

Ein etwas kruder, kein konsequenter Pazifismus - vielleicht gar keiner, vielleicht nur durchschlagende Ohnmacht, nach so einem allumfassenden Debakel, nach Beschau der Ruinen, Bergen von Leichen, Männern in Gefangenschaft. Ein flatterhafter Pazifismus, der gleichfalls widersprüchlich war wie jener, von dem wir heute Notiz nehmen. Jeder sechste Bürger spricht sich gegen den Einsatz in Afghanistan aus - aber gleichzeitig erfahren die zur Show gestellten Beisetzungen erschossener Soldaten, die mit militärischem Pomp und soldatisch-rhetorischer Prachtentfaltung zelebriert werden, unglaublichen Zuspruch. Eigentlich seien es ja Helden gewesen, vernimmt man aus der Bevölkerung - für ihr Land seien sie gefallen, für unser Land, für Deutschland. Ehrenhaft und tapfer gekämpft hätten sie - aber natürlich sei man gegen den Kriegseinsatz; friedliebend zu sein ist doch mindestens eine Selbstverständlichkeit.

Inkonsequent für den Frieden sein; widersinnig gegen den Krieg sprechen: das ist kein Pazifismus, das sind Sprechblasen einer Sprach- und Gesinnungskultur, die eingefordert werden, die verbreitet werden, ohne auch so gemeint zu sein. Inbrünstig sind derlei Beteuerungen jedoch selten. Krieg ist Scheiße, der Soldat aber ein armer Kerl, ein Opfer - das mag für den Wehrmachtsangehörigen sogar noch gelten; für den Bundeswehrangehörigen in Afghanistan trifft das weniger zu. Ersterer war gezwungener Laie, letzterer ist freiwilliger Fachmann. Wer den Krieg ächtet, wer pazifistisch gesinnt ist, der kann im Kriegspersonal kein Opfer sehen, keinen sich auf ethischen Befehlsnotstand zurückziehenden Part wittern. Man kann nicht behaupten, dass Krieg mörderisch sei, ohne nachzuschieben, dass Soldaten Mörder seien. In einer solch fundamentalen Sache kann es keine Differenziertheit geben; es ist unmöglich, Kriegseinsätze zu verdammen, den Krieger aber zu ehren - diese bürgerlich angepinselte Differenziertheit, die glaubt, man könne zwischen Ereignis und Handelnden scheiden, sie ist die Krone der Heuchelei!

Eine wirkliche pazifistische Haltung muß den Soldaten zwar nicht hassen, darf ihn gar nicht hassen: aber sie muß seine Funktion klarlegen, sie muß sein Handwerk beim Namen nennen. Gegen Krieg sein, zugleich aber Kriegerbeisetzungen beizuwohnen: das ist abstrus, gleicht einem fleischfressenden Vegetarier oder einer enthaltsamen Hure! Das ausführende Personal stets moralisch schadlos zu halten, es nimmt dem Individuum die Willensfreiheit, macht es zum Spielball obskurer Mächte. Den Soldaten reinzuwaschen mit der Mär von seiner Unschuld als kleinen Angestellten, es bestiehlt ihn der Würde, weil man ihm die Qualifikation aberkennt, selbst entschieden haben zu können. Wer Soldaten respektiert, der gebe ihnen die Schuld! Wer sie respektiert, der nenne sie Mörder! Der sage, die Funktion des Soldaten ist das Morden!

Sie zu Opfer zu stilisieren: das ist Respektlosigkeit! Sie zu Laufburschen höherer Interessen zu verklausulieren: das ist Würdelosigkeit! Sie zu Kreaturen ohne eigenen Willen zu münzen: das ist gefährlich! Eine andächtige pazifistische Gesinnung wüßte das. Das was als pazifistische Gesellschaft der Bundesrepublik als Schlagwort durch die Medien irrlichtet, weiß davon nichts - weil es nichts Pazifistisches ist, sondern eine Art Eid auf die gern gehörten Floskeln unserer höflichen und adretten Zeit; ein Eid auf die Losungen, die man plärren muß, wenn man als verantwortungsvoller Bürger wahrgenommen sein will. Blutloses Runterbeten, kein friedvoller Eifer! Wer es wahrhaftig meinte, sagte Mörder! - er sagte es provokativ, nicht vorwurfsvoll, er sagte es mit jener ungezückten Miene, mit der Wissenschaftler ihre Erkenntnisse preisgeben. Wer Scheißkrieg! sagt um hernach mutige Krieger zu bestaunen, der folgt nur einer Gesinnungsmode, dem ist die Friedfertigkeit nur ein wohlfeiles Attribut, welches seine brave Staatsbürgerpersönlichkeit zieren soll.

"Sagte ich: Mord?", fragte Tucholsky einst, "natürlich Mord. Soldaten sind Mörder", beantwortete er sich selbst. Und dann waren sie alle beleidigt, lamentierten, geiferten, zeigten an und - verloren vor Gericht, weil Soldaten keine konkrete Person darstellen. So ging das jahrzehntelang - aber heute sagt dergleichen keiner mehr, heute scheut man vor diesem großem Satz zurück. Soldaten sind keine Mörder mehr: sie sind Opfer, arme Schweine, die für uns, für dich, für mich in ihrem Blut ersaufen. Arme Schweine - aber irgendwer muß ja den Krieg für uns machen! Kriege ablehnen und Krieger anschwärmen: und das nennen Historiker und Soziologen dann die pazifistische Grundhaltung der Bundesbürger...



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De dicto

Montag, 13. Dezember 2010

"Das integrationskritische Buch „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin wäre für mich kein Grund gewesen, den Mann seines Postens als Bundesbankvorstand zu entheben.
[...]
In einem Gespräch mit der „taz“ polterte Sarrazin auf die Frage, was er von der Kritik der Ex-Bischöfin Margot Käßmann an seinem Buch hält: „Vielleicht hat sie das Buch nicht gelesen. Oder sie hat beim Lesen wieder ein bisschen zu tief ins Glas geschaut. Wenn die Buchstaben auseinanderlaufen, kann man schon etwas missverstehen.“ Wenn einer hier alles missverstanden hat, dann der feine Herr Sarrazin. Er hat sich über einfachste Regeln menschlichen Umgangs hinweggesetzt."
- Peter Hahne, BILD-Zeitung vom 12. Dezember 2010 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Natürlich überrascht es wenig, dass eine Kreatur des Springerkonzerns, die Sarrazin zweifelsohne ist, gegen eine Antiheldin made by Springer, gegen Margot Käßmann also, schießt. Das ist Normalität in einem Land, dessen Eliten bekennende BILD-Leser sind. Dennoch hat Hahne natürlich recht, wenn er behauptet, dass Sarrazins Großkotzigkeit, der Bischöfin stete Trinkfreude zu attestieren, eine infame Sauerei ist. Gut, er nannte es nicht so, er sprach von einfachsten Regeln - aber so einfach, wie Hahne schreibt, sind derlei Regeln dann doch nicht.

Hahne findet also, dass sich Sarrazin über die einfachsten Regeln menschlichen Umgangs hinweggesetzt hat - eine Bischöfin zu verspotten, gleich aus welchem Grund, sie aufgrund ihres Lapsus' von einst zur tumben Trinkerin zu stempeln: das findet Hahne unanständig! Sich mit unaufrichtiger Vererbungslehre hausieren zu gehen, von Kopftuchproduzenten, von Kosovoisierung zu sprechen im Bezug auf türkische und muslimische Mitbürger: damit kann Hahne aber durchaus leben, das ist nicht unanständig, es ist notwendig und richtig. Was ihn empört ist, dass dieser mutige Mann, "der über deutsche Leitkultur schwadroniert, [...] eine der wichtigsten Tugenden für sich selbst außer Acht [läßt]: Anstand." Wer die deutsche Leitkultur verinnerlicht hat, so lehrt uns Hahne damit, der verunglimpft Moslems und unterlässt fade Kalauer auf Kosten einer Geistlichen. Noch etwas lernen wir: deutsche Leitkultur bedeutet, anständig zu sein! Der wohlgeleitete Deutsche ist ein anständiger Mensch...

Überhaupt liest man aus Hahnes Sonntagswort heraus, dass Sarrazins Positionen schwer in Gefahr sind, wenn er sich nicht besser benimmt. Mensch, Sozialrassist, läßt sich leise aus dem Text deuten, Mensch, Sozialrassist, leg dir ordentliche Umgangsformen an, damit du auch im Bürgertum akzeptabel bleibst! Sei anständig, wahre Anstand, dann sind deine Thesen gesellschaftsmittig salonfähig! Hahne sorgt sich, wie er selbst sagt, nicht um Käßmann (er wolle sie nicht verklären, behauptet er) - er, der er ja jahrelang Mitglied des Rates der EKD war, dürfte ohnehin bitterlich von jener Dame enttäuscht sein. Als protestantischer Moralmessias und Medienbajazzo ist er nicht der Anwalt einer fehlgegangenen Bischöfin: er ist der strenge Herr Knigge des sozialrassistischen Trommlers, den man anleiten, dem man zivilisiertes Benehmen beibringen muß, wenn er weiterhin angehimmelt sein will. Mensch Thilo, rät im Peter, sei freundlich zur Margot, es reicht doch, wenn du Melek und Gülsüm brüsk ohrfeigst!



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Auf nichts zurückgreifen zu können...

Samstag, 11. Dezember 2010

Immer nach vorne blicken, hoffnungsfroh in die Zukunft lugen; vorwärts immer, rückwärts nimmer. Wer in der Vergangenheit lebt, den bestraft das Leben; jetzt müsse man doch das in Angriff nehmen, was vor einem liegt - das sind oft vernommene Binsenweisheiten unserer modernen Gesellschaft. Eine aufgeblähte Zukunfts- und Fortschrittsgläubigkeit, die fast schon hegelianischen von der steten Besserung der Welt kündet, weswegen ins Vorne zu blicken, nicht ins Hinten zu starren ist. Dies ist die zeitgemäße Denkart der think positive-Unkultur, eines Wirtschaftszweiges der guten Laune, der Zuversicht, eines fast schon triebhaften Optimismus', der das Leben zum freien Markt uneingeschränkter Möglichkeiten verklärt.

Die Vergangenheit, sie ist in diesem Weltbild zum Pessimismus verkommen; wer in die Zukunft lugt gilt dagegen als Optimist. Vergangenheit ist vergangen, vergessen, nicht mehr relevant - Zukunft ist das unentdeckte Land, ist Mut und positive Denkrichtung. Wer zurückblickt haftet an negativen Gefühlen, ist Miesmacher, Schwarzmaler, Skeptiker; wer zurückblickt, wer Rückschau hält, gilt schnell als Schwärmer, als nicht mit beiden Beinen auf dem Boden. Der Zukunft gehört die Zukunft, die Vergangenheit soll endgültig, requiescat in pace, der Vergangenheit angehören.

Was aber der Mensch ist, wenn er keine Geschichte hat, erzählt Jonathan Overfeld. Vor fünf Jahren saß er auf einer Parkbank in Hamburg und wusste nichts mehr über sich. Er wusste weder Namen noch Herkunft; er wusste auch nicht, was er in seinem Leben je erlebt hatte. Overfeld erklärt den Zustand folgendermaßen: "Es gibt auch keine Zukunft. Wenn Sie keine Vergangenheit haben, dann gibt es auch keine Zukunft, und die Zukunft wird in der Gegenwart geplant. Das geht nicht. Ich kann auf nichts zurückgreifen, auf keine Informationen, auf keine Emotionen, um eine Zukunft zu planen. Das geht nicht." Für den Menschen, so wird am Beispiel Overfelds sichtbar, ist die Ausrichtung auf die Zukunft letztlich Augenwischerei, weil alles, was man zukünftig plant, eine Basis in der Vergangenheit besitzt; das Arsenal an Erfahrungen und Erlebtem macht die Zukunft erst planbar, erst vorstellbar - ohne Erfahrungsschatz keine Zukunft, in die man mit der notwendigen Gelassenheit treten könnte.

Ohne etwas von seiner Vergangenheit zu wissen, tritt der Mensch in ein Vakuum; Overfeld erläutert, dass man "absolut hilflos" wäre, und dass es für diese Hilflosigkeit "kein deutsches Wort" gäbe. "Man fühlt diese Leere, und sie verursacht Panik, bis hin zu Todesängsten, wenn da nichts mehr ist." Die verpönte Vergangenheit ist demnach nicht nur irgendwie Vergangenes, etwas von gestern, sie ist zentraler Bestandteil des menschlichen Daseins im Jetzt, in der Gegenwärtigkeit. Wer seine Vergangenheit vergisst, der stolpert in ein Loch - wer sie bewusst vernachlässigt, der kommt aus dem Loch, in das er sich begab, nicht mehr heraus. Ohne Vergangenheit zu sein, heißt in letzter Konsequenz vorallem, ohne Gegenwart zu leben, keine Zukunft zu besitzen.

Eine geschichtsvergessene Gegenwart, die Geschichte zwar ritualisiert hat in ihrem unausgegorenen Wahn zu gedenken, ohne jedoch in Memento mori-Stimmung verfallen zu wollen, die also daraus keine Lehren ziehen will; eine Gegenwart, die ihren Menschen lehrt, dass es sinnvoll sei, stets unverzagt und zuversichtlich in die Zukunft zu blicken, statt sich auch mit dem auseinanderzusetzen, was vergangen ist: eine solche Gegenwart kann von einem Szenario, wie es Overfeld widerfuhr, nur lernen. Der Mensch und die Gesellschaft - als Verbund von Menschen - sind nichts, wenn sie keine Vergangenheit besitzen. Der Schlüssel zum Jetzt und zum Dann liegt dort begraben. Zukunft ist nur denkbar, wenn ein Repertoire an Eindrücken und Erfahrungen in der Vergangenheit gehortet wurde. Keine Vergangenheit zu haben, das stürzt Einzelpersonen wie Gesellschaften in einen Strudel der Leere, erlaubt kein differenziertes Zukunftsbild, läßt Handlungsweisen in der Gegenwart nicht hinterfragen und mit dem Erfahrungsschatz in Einklang bringen. Keine Rückschau zu halten läßt Menschen blöde optimistisch grinsend in eine unplanbare Zukunft stolpern.

Overfeld spricht von Todesängsten, die aufkommen, wenn man plötzlich davon Notiz nimmt, seiner Vergangenheit nicht mehr gedenken zu können, weil sie einem entfallen ist - er selbst erinnert sich langsam bruchstückhaft an das, was ihm widerfuhr. Overfeld war ein missbrauchtes Heimkind, wurde schon in jungen Jahren vergewaltigt. Obwohl ihm diese tragischen Tatsachen schrittweise gewahr werden, stellen sich nun keine Todesängste ein - lapidar, vielleicht zynisch gesagt: eine schlechte Vergangenheit scheint für das menschliche Individuum besser verkraftbar zu sein, als gar keine zu haben. Immer nach vorne zu blicken, eine unliebsame Vergangenheit vergessen machen: das ist kein Umgang mit dem, was geschah, es ist Flucht, ist letztlich Entfremdung von sich selbst.

Selbstverständlich blicke man nach vorne! Der Mensch kann ohne Zukunftsaussichten ebensowenig leben, wie ohne Vergangenheit. Aber man berücksichtige das, was die Vergangenheit birgt, um für die Zukunft gegenwärtig werden zu können...



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Immer und zu allem etwas zu sagen haben

Freitag, 10. Dezember 2010

In einer Mediengesellschaft ist es möglich, dass aus jeder medialen Geringfügigkeit ein Hype erwächst. So wie neulich, als bei jener großen Samstagsabendsendung, die vom konzilianten Blonden mit dem neurotischen Kleidergeschmack geleitet wird, ein Kandidat in einen schwerwiegenden Unfall verwickelt war. Nun ist für die Beteiligten, für das Unfallopfer und dessen Familie und Freunde, dieses Ereignis freilich keine geringfügige Nichtigkeit - weshalb man aber die Öffentlichkeit minutiös über Gesundheitszustand und Familienverhältnisse aufklärt, kann nicht so richtig begriffen werden. Und wieso sich auch Hinterbänkler des Bundestages oder aus Senaten und Landtagen und halbwegs profilierte Gestalten des Berliner Zirkus zu Wort melden: das ist nicht zu verstehen und krönend noch peinlich.

Wichtig ist in einer Medienrepublik alles; die politische Gilde, die sich via Medien ins Mandat und in Szene rücken will, muß daher immer und überall, zu jedem wichtigen Thema und zu jeder Banalität eine Meinung haben, vor die Kameraobjektive drängen. Ob nun Wettkandidaten, die zu Sturz kommen oder eine Göre, die bei einem internationalen Gesangsblödel-Contest gewinnt: alles ist von Belang, alles muß kommentiert, alles muß rhetorisch verarbeitet werden. Und wenn morgen das agenda setting hellblaue Söckchen vorgibt, dann werden eben hellblaue Söckchen kommentiert - man ist ja flexibel, man hat zu allem eine zu vertretende Ansicht und zu verströmende Bedenken.

Bedenken, die nun auch im Falle der Samstagsabendsendung lang und breit ergossen werden. Gefährlich sei diese Wette gewesen, unverantwortlich sei es, dem Publikum zur Befriedigung seiner Gelüste so eine Risikonummer zu unterbreiten. Dass der Wettkandidat ein erwachsener und somit mündiger Mensch war, dass Unfälle zuweilen geschehen, dass in diesem Unfallsszenario letztlich auch der Reiz solcher Veranstaltungen ruht: davon keine Silbe! Wenn bei RTL mal wieder Klischee-Arbeitslose und Gemeinplatz-Asoziale am Nasenring vorgeführt werden, um dieser ganzen Gesellschaftsschicht zur Unehre zu verhelfen, dann vernimmt man keinen Laut von den derzeitig bitterböse Empörten. Gegen eine tendenziöse Berichterstattung, wie sie unter anderem bei RTL stattfindet, könnte man Maßnahmen ergreifen - da lohnten sich kritische Statements durchaus. Gegen Unfälle etwaiger Stuntmen läßt sich allerdings wenig machen, hin und wieder geschieht, was geschehen kann; das macht auch den Nervenkitzel solcher Aktionen aus - Statements sind hier vergebliche Wichtigtuerei.

Der wahre Auswuchs der Mediengesellschaft ist weniger, dass jede Nichtigkeit zum Skandal, zum Thema der Stunde aufgeplustert wird, als der Umstand, dass sich immer wieder mandatierte Idioten finden, die ihre Phrasendrescherei mit Wonne zu jedem Unsinn ablassen. Dieser verbale Aktionismus besonders engagierter Damen und Herren aus dem politischen Dunstkreis, diese Jetzt-muß-sich-was-ändern-Rhetorik zum banalsten Thema, diese Ich-habe-was-zu-sagen-Eitelkeit, die dann in plumper Nichtssagenheit verendet: das sind die wahren Krebsgeschwüre der Mediengesellschaft. Man kann Unfälle in einer Abendsendung ja bedauern; nur ob man dazu öffentlich Stellung beziehen muß, das ist fraglich - aber es gilt eben: wenn sie geschwiegen hätten, wären sie noch bedeutungloser geblieben, als sie es nach ihrem Statement waren...



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Behinderung ist nicht modern

Donnerstag, 9. Dezember 2010

Die Neuregelung der Hartz IV-Regelsätze wird behinderte Menschen benachteiligen. Das ist nicht überraschend: das ist nur konsequent! Eine Grundsicherungsleistung, die von jeher darauf abzielte, die Wirtschaftlichkeit des Hilfebedürftigen zu hinterfragen, die als Grundsatz einen Slogan wie "Jede Arbeit ist zumutbar!" trägt, kann gar nicht anders gehandhabt werden. Sie muß folglich all jene, die eben nicht für jede Arbeit zur Verfügung stehen können, anders behandeln als diejenigen, die dies können oder jedenfalls theoretisch könnten.

Das Sozialgesetzbuch II fragt eben nicht in erster Linie nach Bedürfnissen und individuellen Lebenssituationen, es interessiert sich wenig für die jeweilige Lebenswirklichkeit der Hilfebedürftigen, sondern es stellt in erster Linie die bestmögliche Verwurstbarkeit des Transferbeziehers in den Mittelpunkt. Das ist sicher nicht neu, nicht einzigartig, auch die vormalige Sozialhilfe war darauf erpicht, den Hilfebedürftigen zur Lohnarbeit anzuhalten: nur hat die Wirtschaftlichkeit einer menschlichen Existenz nicht das Primat ausgemacht - was braucht der Mensch; wie lebt er; was kann man für ihn tun: das waren maßgebliche Fragen, die freilich im Behördenalltag viel zu oft zu kurz kamen.

Jetzt kommen sie nicht zu kurz, sie sind schlicht nicht vorgesehen. Das SGB II kümmert sich um solche Fragen äußerst wenig, wie ja auch die Verfassungsrichter im Februar dieses Jahres feststellten, als sie verkündeten, es muß dringend mehr auf die alltägliche Lebenssituation des jeweiligen Leistungsbeziehers eingegangen werden, besondere Härten müßten demnach berücksichtigt sein. Zentral ist nicht das soziale Belang, nicht die Aufgabe, Menschen teilhaben zu lassen am sozio-kulturellen Gemeingut - zentral ist, alle hilfebedürftigen Menschen unbesehen in einen Topf zu werfen, sie ohne Beschau ihrer Lebenssituation auf den Arbeitsmarkt zu kippen; "jede Arbeit ist zumutbar" und "Arbeit ist jedem zumutbar", gleich wie es um ihn bestellt ist. Die eigentliche existenzielle Grundlage des Sozialwesens, niemanden durchrutschen zu lassen nämlich, ist damit auf den Kopf gestellt - es soll nur derjenige nicht durchrutschen müssen, der verwertbar ist, der leisten kann, der sich Arbeit jeder Art zumutet.

Behinderte Menschen sind in einem solchen Gesetzeswerk, das auf derartige Prinzipien baut, schwer vermittelbare Kunden. Nach der Logik des Prinzips ist es daher durchaus berechtigt, ihnen weniger Regelsatz zu überweisen - sie können sich ja nicht jede Arbeit zumuten, können nur begrenzt - wenn überhaupt! - leisten, sind nur schwerlich verwertbar. Der behinderte Mensch ist eine nur lahm zu vermittelnde Ware auf dem Arbeitsmarkt; und Ware hat der Leistungsbezieher heute mehr denn je zu sein - als Kunde betritt man die heiligen Hallen der Arbeitslosenverwaltung, aber Ware ist man eigentlich: das ist moderner Sozialstaat. Und behinderte Menschen können dieser Modernität nur behäbig folgen, sie schaffen es nicht, zur willfährigen, flexiblen, mobilen Ware zu werden.

Damit ist es nur konsequent im Sinne des Geistes, den das SGB II verströmt, denjenigen weniger zu alimentieren, der die Vermittlung in Verwurstbarkeit behindert. Behinderte Menschen sind nach dieser Lesart eben nicht nur körperlich behindert, sie behindern auch das schöne Prinzip von Hartz IV, sie sind somit Querulanten, die sich selbst und der Solidargemeinschaft im Wege stehen...



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Nomen non est omen

Mittwoch, 8. Dezember 2010

Heute: "Faulheit"
"Die Arbeit ist etwas Unnatürliches. Die Faulheit allein ist göttlich."
- Anatole France -
Faulheit bezeichnet im Sinne von faul und Fäulnis, dass Verderben und das Verwesen von Obst und von Tieren. Im Zeitalter von Arbeitsfetischismus, Sklavenmoral, Arbeitssucht und vorauseilendem Arbeitsgehorsam ist der Vorwurf der Faulheit eine schlimme Sünde. Wer als faul bezeichnet wird, sei träge, arbeitsscheu, unnütz, wertlos und letztlich gar überflüssig. Der Begriff ist im Kapitalismus negativ konnotiert und wird als Waffe gegen all jene verwendet, die sich nicht dem Hamsterrad der ewigen Selbstverwertung unterwerfen können oder wollen.

In der Antike galt Faulheit im Sinne von Müßiggang als wichtige Charaktereigenschaft. Heute muss sich das Recht auf Faulheit erkauft und quasi erarbeitet werden. Nur wer hart und viel schuftet, der darf auch langsam gehen. Nur wer einen vermeintlich anstrengenden Arbeitstag hatte, darf die Beine hochlegen und faul sein. Nur wer das ganze Jahr über in der Lohnarbeit geackert hat, darf in den Urlaub fahren. Faulheit als Gut, dass es zu erwerben gilt. Motivation, Fleiß, Leistung und Produktivität sind die großen Gegenspieler der Faulheit. Wobei Faulheit auch ein Wirtschaftsfaktor ist. Der Taschenrechner, die Fernbedienung, Rolltreppen und viele andere Wirtschaftsgüter wurden erfunden, weil Menschen faul waren.

Indes ist Faulheit weder für den Klimawandel, für Kriege noch für die Unzufriedenheit der Menschen verantwortlich. Von Faulheit wird die Welt nicht untergehen. Das kann man getrost der grenzenlosen Produktion und dem kapitalistischen Irrsinn zuschreiben. Oder wie der französische Sozialist Paul Lafargue schreibt:
"Arbeitet, arbeitet, Proletarier, vermehrt den Nationalreichtum und damit euer persönliches Elend. Arbeitet, arbeitet, um, immer ärmer geworden, noch mehr Ursache zu haben, zu arbeiten und elend zu sein. Das ist das unerbittliche Gesetz der kapitalistischen Produktion."
Ein Mensch der respektiert werden will, muss ehrgeizig, fleißig, arbeitssüchtig und leistungsorientiert sein. Dieses Menschenbild ist in den Köpfen der Menschen tief verankert. So auch in Politik und Wirtschaft. So entstehen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Bewerbungstrainingskurse und Umschulungen, damit die Arbeitslosen auf eine Lohnarbeit vorbereitet werden, die es für sie nicht gibt. Aber Hauptsache sie sind nicht faul. Arbeit als Selbstzweck. Denn wer nicht arbeitet, ist ein Sozialschmarotzer, ein Parasit, ein fauler Sack, wertloser Ballast. Erwerbslose haben kein Recht auf Faulheit und demnach auch kein Recht auf gesellschaftliche Anerkennung.

In Zukunft werden immer mehr Tätigkeiten auf Maschinen und Technologien übertragen werden. Die Automatisierung bringt es mit sich, dass immer weniger Lohnarbeiter gebraucht werden. Massenarbeitslosigkeit wird demnach weiterhin ein fester Bestandteil der Arbeitswelt sein. Erwerbslose werden so zum Nicht-Lohnarbeiten gebracht. Statt sie als faule Säcke zu diffamieren, sollte man die Faulheit des Denkens ablegen und begreifen, dass die Befreiung von Sklavenmoral, Arbeitssucht, Mobbing, Abhängigkeit und Schufterei ein Segen ist.

Dies ist ein Gastbeitrag von Markus Vollack aka Epikur.

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Der Schmodder muß weg

Dienstag, 7. Dezember 2010

Der Stil der Springer-Journaille, der ja genaugenommen eher Stillosigkeit ist, ist die Verknappung, der gestraffte, der abgeknapste Satz. Eine Stillosigkeit, die zuweilen auch in seriöseren Blättern Anwendung findet - Richtschnur soll hierbei der Leser sein, der schnell, umfassend und effektiv informiert werden soll. Die Informationsvermittlung stehe somit im Mittelpunkt, unnötiger sprachlicher Tand wird zurückgewiesen; Springer und seine Nachahmer pflegen ein puritanisches, spartanisches Gepräge - sie frönen der frugalen Phrase, dem genügsamen Nebensatz, wenn es überhaupt einen Nebensatz geben soll.

Adjektive sind ohnehin Ballast, Verben unter Umständen auch - Franz Josef Wagner, derzeit Mann der Stunde bei BILD, rezitiert ausladend, aber nicht unzutreffend darüber. Für ihn zeichne sich der perfekte Satz dadurch aus, dass die Adjektive wegfielen, eventuell auch Verben - Schmodder nennt er das, die dem puren, rohen Satz im Wege stünden. Totale Verknappung sei das Prinzip. Aber gleichzeitig sollte Poesie erhalten bleiben, müsse man Sprachmelodie und Wohlklang einbauen. Wie aber die Ästhetik zu konservieren ist, wenn Eigenschafts- oder Zeitworte entfallen, verrät Wagner nicht - es bleibt sein Geheimnis, wie aus einem Satz, der hauptsächlich aus Nomen zusammengeschustert ist, ein aussagekräftiger, zudem noch schöner Satz entstehen soll.

Denn erstaunlich ist ja auch, dass Wagner zur Rechtfertigung des perfekten Satzes ausgiebig Adjektive benutzt - keine spannenden, keine seltenen fürwahr; Adjektive des Alltags zwar nur, welche wie dick, fett oder roh, aber doch immerhin Adjektive. Ohne diese, so scheint es, wäre ihm die Erklärung, wie er nach dem perfekten Satz jagt, nicht gelungen. Im Stakkato von Nomen hätte er sich vermutlich arg schwergetan, seine Stillosigkeit, die man in der BILD-Redaktion optimistisch Kunst nennt, zu umschreiben.

Bei BILD und Konsorten fallen Adjektive weg, was heißt: die Eigenschaft des Umschriebenen geht verloren, stellt nicht mehr den Gegenstand der Berichterstattung dar. Verben werden, oft durch Bindestrich-Komposita, verschluckt - der Protagonist springerscher Berichte ist damit jemand, der zur Untätigkeit verurteilt ist, weil es ihm am Tätigkeitswort mangelt. Wobei anzumerken ist, dass der Protagonist, Leute wie Guttenberg beispielsweise, durchaus auch Verben erteilt bekommen - der Protagonist (griech.; prótos, "der erste"; ágo, "ich handle") muß buchstäblich handeln; der Antagonist, Arbeitslose oder Ausländer zum Beispiel, klassische Gegenspieler also, sind beraubt des Tätigkeitswortes - sie können nichts mehr tun, sie sind zum Stillhalten verurteilt, wirken in den Berichten Springers daher undynamisch, lahm, faul. Es handelt sich dabei um Stützen-Schnorrer oder Hartz-Betrüger - das Verb wird zum Nomen, die Tätigkeit geht in die Person über; die dargestellte Person tut nicht: sie ist - sie ist an den Bindestrich geschmiedet.

Eine solche Sprache ist nicht nur für die Printmedien zweckdienlich, sie ist vielmehr tendenziell, sie frisiert Umstände, dirigiert das Denken in vorgesehene Bahnen. Wenn der Antagonist nicht mehr handeln kann, sei es nur anhand unzureichender Syntax, dann ist er dazu verdonnert, handlungsunfähig zuzusehen. Zudem treiben ihn die Komposita, mit denen man ihn überzieht, in die Rolle der Personifikation dessen, was er getan haben könnte - das heißt, er ist bereits, was als Vorwurf nur haltlos im Raum steht. Hier wird die Unschuldsvermutung untergraben, hier wird Vorurteil und Vorverurteilung erzeugt.



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Zur Kriminalität verdammt

Montag, 6. Dezember 2010

Wir sehen gerade dabei zu, wie man kriminelles Potenzial erschafft, wie man Menschen und Organisationen in eine Rolle drängt, die man denen zuerkennt, die später "Terroristen" oder "Kriminelle" geheißen werden. WikiLeaks werden sämtliche Grundlagen entzogen, ein Versandhaus und ein Online-Bezahlsystem sind im vorauseilendem Gehorsam abgerückt - womit die (Über-)Lebensbedingungen von WikiLeaks erschwert werden; zusätzlich ächten die politischen und wirtschaftlichen Eliten, was wenig verwunderlich ist, die Plattform in steter Wiederholung. Eine Atmosphäre der Kriminalisierung wird entworfen, ein breiter Aktionismus, der mittels zielgerichteter Propaganda, bedenkenträgerischen Reden verantwortlicher Politiker und dem Abrücken etwaiger Geschäftspartner, klarlegen soll, dass man mit Kriminellen, mit Terroristen nicht kollaboriert.

Es ist vermutlich nicht statthaft, dieses Gebaren mit jenem zu vergleichen, dass damals vorherrschte, als in Deutschland die Baader-Meinhof-Gruppe agierte. Viele intellektuelle Kritiker, unter anderem der Schriftsteller Heinrich Böll oder der Psychoanalytiker Peter Brückner, hatten damals dafür votiert, diese Gruppe junger Leute nicht zu sehr zu diabolisieren, denn damit würde man sie genau dorthin treiben, wo sie laut Medien derzeit angeblich schon seien: im brutalsten Terrorismus. Freilich warf man daraufhin den "Bölls und Brückners" vor, sie seien intellektuelle Helfershelfer des Terrors (so schlussfolgerte beispielsweise der Leiter des innen- und rechtspolitischen Arbeitskreises der Union Friedrich Vogel). Die Stimmung gegen die durchaus gewaltbereite, aber durchaus noch nicht mordende Clique wurde zunehmend erdrückender - man sprach gezielt von einer Bande, um die damit unterschwelligen Konnotationen zu wecken. Eine Bande ist etwas Vulgärkriminelles, sind Mordbrenner - mit solcherlei Termini wurde kaschiert, dass da durchaus gebildete Leute mit von der Partie waren, allen voran Ulrike Meinhof. Man trieb die Gruppe immer mehr in die Enge - "und natürlich darf geschossen werden", war letztlich die Losung aus dem Munde Meinhofs, die eine solches zielgerichtetes Vorsichhertreiben dornenkrönte. Ausgerechnet Meinhof vertrat diese Parole, obwohl sie bis dahin gemäßigt, ja ängstlich war, obwohl sie Gewalt ablehnte - aber die mediale Hatz und die Heraufbeschwörung des Terrorismus produzierte eben Terroristen.

WikiLeaks zündet keine Bomben, hat nur mal mehr, mal weniger explosives Material veröffentlicht. Nichtsdestotrotz könnte das Projekt in der Kriminalität enden, in einer künstlich erzeugten, einer geschaffenen Kriminalität - man funktioniert einen Transparenzdienst zur semi-terroristischen Bande um: das nennt sich Deutungshoheit. Wenn sich Politik brüskiert fühlt, beschafft sie sich einfach die Mittel, denjenigen zu kriminalisieren, der sie brüskierte: Politik und deren Medien als Beschaffungskriminelle! Wundern darf man sich nicht, wenn WikiLeaks dann in einem Fiasko endet, wenn es zur Finanzierung auf Mittel zurückgreifen muß, die unlauter sind, weil lautere Mechanismen peu a peu entzogen werden. Insofern ist die Kriminalisierung von Assange nur eine self-fulfilling prophecy, gar nicht substanzlos, sondern durchaus auf Linie mit dem Szenario, in das man WikiLeaks hineindrängt. Hier werden nicht Kriminelle verfolgt und sanktioniert: es werden Kriminelle gezüchtet; es wird in die Ausweglosigkeit kriminellen Handelns getrieben.

Die RAF war fürwahr nicht WikiLeaks - und WikiLeaks ist weit davon entfernt, etwas wie die RAF zu sein. Aber wohin eine breite gesellschaftliche Einheitsfront führen kann, das haben wir bereits damals gesehen. Das Mörderische kam dazumal erst zum Durchbruch, als man das Mörderische täglich in Gazetten und Nachrichten, in Politikerreden und symbolischen Akten beschwor - das Kriminelle von WikiLeaks ist bis dato nicht fassbar, es wird aber durch die Journaille, durch News, durch politische Statements und durch symbolische Gesten manifest, wird Wirklichkeit werden. WikiLeaks wird ins Kriminelle abgeschoben...



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Facie prima

Freitag, 3. Dezember 2010

Heute: Der Kriminalisierte, Julian Assange

Der Macht der Bilder gelingt es zuweilen, aus einem Menschen, der aufklären und aufhellen möchte, einen Verbrechertypus zu destillieren. Dabei verunziert man das Konterfei des Kriminalisierten mit Verschlagenheit, macht aus ihm eine nebulöse Erscheinung, gibt ihm den Anstrich lichtscheuen Gesindels. Julian Assange wird mit getönten Brillengläsern ausgestattet, just in dem Augenblick, da Interpol mit einem internationalen Haftbefehl wedelt. Natürlich wird er damit nicht ausgestattet, natürlich ist es keine Fotomontage - Assange hat sich irgendwann so ablichten lassen. Dass aber ausgerechnet diese Fotografie ausgewählt wird, wenn der zwielichtige Charakter, befördert durch einen Haftbefehl, herausgekehrt werden soll, verrät die Intention dahinter. Es gäbe ja auch sympathischere Fotos. Die Wirkung, die eine solche Erscheinung zuhälterischen Zuschnitts erzielt, die damit latent geschürten Konnotationen und Vorurteile, sie machen aus Assange, den Geheimdienstler der Öffentlichkeit, eine Nachtgestalt, einen Gauner, dem das mögliche Schicksal in Haft nur recht geschieht.

Der in den Medien dargestellte Assange wird gezielt optisch dahingehend aufbereitet, um als halbseidener Gangster angesehen zu werden. Neben den Berichten, die sich inhaltlich mit den Veröffentlichungen von WikiLeaks beschäftigen, ruht ein Assange mit abgefeimten Blick, ein grob hinterhältig dreinblickender, leicht schmierig wirkender Mann. Jemand, dem man nur schwerlich vertrauen, dem man keine Motive wie Transparenz und Offenheit anheften würde. Die Manipulationsmacht, die ein Bild verströmen kann, selten ist sie so zielgerichtet, wie im Falle Assanges; selten wird so manipulativ auf solche Fotos zurückgegriffen, auf denen die Person, über die man berichtet, so unvorteilhaft zur Geltung kommt. Assange soll als Widerling, als schummrige Milieufigur begriffen werden - gelingt dies, regt sich kaum Widerstand gegen die Verhaftung eines Mannes, der für Transparenz eintritt.

Als ein vor der Haft fliehender Verbrecher soll er ins Gedächtnis der Öffentlichkeit gemauert werden. Als ein Outlaw, als jemand, der alleine steht, um den es einsam geworden ist, vielleicht schon immer einsam war. Assange wird an den linken Bildrand gedrückt, rechts von ihm große Leere, das große Nichts. Er ist einer, von dem man auch bildlich abrückt, eine verlassene Unperson. Eine Randexistenz wird da fotographisch präsentiert. Der Betrachter soll auf einem Blick erkennen: da ist einer in die Ecke gedrängt, da ist jemand, dessen kriminelle Energie ihn an den Rand drückt. Noch bevor gelesen wird, welchen neuen Coup Assange und WikiLeaks gelandet hat, ist dem Betrachter schon klar, wo er Assange einordnen soll.

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Das Schlichtungsmodell hat sich bestens bewährt

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Es war wahrlich nicht überraschend, dass sich am Ende doch für Stuttgart 21 ausgesprochen wurde. Wer nun verblüfft tut, der ist entweder hoffnungslos hoffnungsfroh oder, plump gesagt, einfach nur naiv. Es ging nie darum, ein Bauvorhaben, das durch alle Instanzen ging, eine Baugenehmigung besaß, zur Disposition zu stellen - wichtig war denen, die die Schlichtung für eine große Chance hielten, den Protest zu kanalisieren; treffender gesagt, sofern man die Fernsehübertragung beobachtet hat: den Protest einzuschläfern.

Das ist Schlichter Geißler glänzend gelungen; die Emotionen der Straße wurden ins Kleinklein technokratischen Papierwusts verlagert. Wer anfangs noch mit Eifer für die Auflehnung gegen die politische Willkür war, der döste nun regelmäßig dahin, wenn er zusah, wie aus Papieren Ödes verlesen, rhetorische Schnippchen geschlagen und der Schlichter auf seinen Stuhl von Stunde zu Stunde buckeliger wurden. Demokratie, so konnte man fast den Eindruck gewinnen, muß zwangsläufig im Geschnarche enden. Und das ist auch gar nicht zufällig so: die große Chance des Schlichtungsverfahrens, die man immer wieder expressiv hervorhob, sie besteht nicht darin, dass auf die Belange des demonstrierenden Bürgers eingegangen wird: die einmalige Chance war, die Querulanten in einen linden Schlaf hinüberzuwiegen, in dem demokratische Träume geträumt werden dürfen.

Ein Scheingefecht veranstaltet, endgültige moralische Legitimation erwirkt zu haben: das war die Schlichtung! Als mehr war sie nie angesetzt. Hartmut Mehdorn spricht ungewollt ganz offen, wenn er sagt: "Wer jetzt noch demonstriert, demaskiert sich als purer Nein-Sager." - Wer jetzt noch demonstriert, wo man doch jetzt alles, wirklich alles dafür getan hat, die Demonstranten zu Wort kommen zu lassen. Demonstrant zu sein nach der Schlichtung heißt, nicht ganz demokratisch gesittet zu sein, einen querulantischen Defekt in sich zu tragen, der dringend benötigten Kompromissbereitschaft ledig zu sein. Nach der Schlichtung ist der Demonstrant unmöglich gemacht - da hat man mit ihm verhandelt und er macht unverbesserlich weiter; irgendwas stimmt mit solchen Leuten nicht, wenn sie das Demonstrationsrecht so missbrauchen. So jedenfalls kalkulierten jene, die die Schlichtung für eine besonders gute Idee hielten, schon vorher.

So ein Schlichtungsverfahren, bei dem sich ausrangierte Politiker nochmals ein Gran Anerkennung und Medienrummel abholen dürfen, ist ein Zukunftsmodell für eine Demokratie, die immer häufiger als Herrschaftssystem für Wirtschaftsinteressen zweckentfremdet wird, in der das Primat der Politik aufgegeben wurde. In einem solchen System ist nicht wesentlich, ob Prozesse vorherrschen, die politische Partizipation sichern: maßgeblich ist, dass es so aussieht, als würden alle mitreden und mitentscheiden dürfen. Eine solche Schlichtung, wie sie in Stuttgart medial aufbereitet wurde: sie wiegt in partizipative Träume; sie erstickt die Emotion und ist hernach ganz praktisch, um uneinsichtige Demonstranten moralisch kaltzustellen.

In einer Demokratie, in der sich Parteien nur farblich abstufen, in der sich die Verbandelung von Wirtschaft und Mandat immer zwangloser gestaltet, in der, kurz gesagt, der Schein von demokratischer Mitbestimmung aufrechterhalten werden soll - in so einer Demokratie ist auch das Stuttgarter Schlichtungsmodell ein großer Wurf, ein bewährtes Zukunftsmodell. Viel Geschwafel, viele wohlige Nickerchen am TV-Gerät, beharrlich unterlegt mit dem Gefühl, hier herrsche brutale Partizipation: und am Ende ein Kompromiss, der bereits vorher feststand - so macht man heute Demokratie!



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Auschwitz verallgemeinern!

Mittwoch, 1. Dezember 2010

In Israel, so wird leider viel zu zögerlich berichtet, ist der Araberhass zur Staatsmaxime erhoben. Palästinenser in die Ödnis jenseits des Jordans oder des Gaza-Streifens abzuschieben, sie dort hinter meterhohen Mauern versauern, sie dabei stets mit militärischem Auge begutachten zu lassen, das ist die offizielle Leitkultur des Landes. Erlassene Apartheidgesetze, die die Knesset erließ, sind da fast nurmehr Beiwerk. Und dass sämtliche kleinen Hetzer da ins lauschige Geifern verfallen, versteht sich von selbst - es ist in Israel wie überall: wenn von offiziellen Ränge verhetzt wird, dann fühlt sich auch jeder Narr dazu aufgefordert, seine Frustration zu politisieren. Selbst Oberrabbiner rufen deswegen dazu auf, an arabische Studenten nicht mehr zu vermieten - der Hass auf Araber durchdringt auch - oder gerade! - den närrischen Kleingeist.

Avraham Burg fordert in seinem streitbaren Buch "Hitler besiegen: Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss", dass die israelische Gesellschaft sich von jener Staatsdoktrin verabschieden sollte, nach der der Holocaust ein singuläres Ereignis darstellt, das zur nationalen Identitätsstiftung missbraucht wird. Sicher sollte man den Massenmord nicht vergessen, man sollte an jene blutigen Ereignisse zurückdenken, nicht aber in dem Sinne, ihn als rein an den Juden begangenes Unrecht zu verstehen. Wenn der Holocaust überhaupt eine Bedeutung haben soll, so schreibt Burg sinngemäß, dann als universelle Mahnung; er soll eben nicht mahnen, was die Gojim mit den Juden getan haben - er sollte der Menschheit vor Augen führen, was der Mensch mit dem Menschen anstellen kann, wenn sämtliche moralischen Imperative einstürzen.

Burg erntete dafür in Israel Missfallen, sogar Drohungen; und freilich fühlten sich Holocaust-Überlebende brüskiert - schließlich ist ihnen ja das große Unrecht am eigenen Leibe widerfahren; ihnen, diesen Juden, nicht den Menschen universell. Man kann ihre Beleidigung verstehen, muß deshalb aber nicht auf die Emotionalisierung eingehen. Denn es ist, wie Norman G. Finkelstein schreibt, der mit seinem Buch "Die Holocaust-Industrie" vor Jahren Aufsehen erregte (und von rechtsradikalen Kreisen fälschlicherweise zum antisemitischen Wahrheitsjünger erkoren wurde), eigentlich moralisch nicht nachvollziehbar, weshalb US-amerikanische Juden zwar Museen zum Gedenken an die Shoa einrichten, gleichzeitig den Sinti und Roma, ebenfalls Opfer nationalsozialistischen Rassenwahns, die Teilnahme an einem solchen Projekt verweigern. Finkelstein zürnt gegen die Ideologie derer, die den Holocaust nur unter den Gesichtspunkten des Profits betrachten, die Entschädigungsgelder einstreichen und hierzu den Kampfbegriff von der "Singularität des Holocausts" eingeführt haben, um sich gegen etwaige andere Gruppen, die Opfer des hitleristischen Deutschlands waren, besser zu positionieren. Er leugnet nicht, wie manche rechtsextremistischen Blender einst behaupteten, dass der Holocaust stattgefunden hätte - die Holocaust-Industrie ist nicht die Industrie einer Erfindung, sie ist aalglatter Lobbyismus, der mit dem Andenken an Millionen von Toten satten Reibach macht.

Eingedenk dieser Gedanken, die Singularität fallen zu lassen, Auschwitz zum universellen Leitgedanken zu erheben, muß dem Staat Israel vorgeworfen werden, den Holocaust zu instrumentalisieren und ihn damit zu relativieren. Das ist fürwahr ein heikler Vorwurf. Nur: wenn man das Gedenken an Auschwitz national und rassisch anwendet, es nicht generalisiert, um es der Menschheit zu widmen, das heißt, an all jene (jüdische oder nichtjüdische) Menschen zu denken, die von Menschenhand geschunden, gepeinigt und getötet wurden und noch werden, dann findet eine Ausbeutung des Gedenkens statt, ein Missbrauch des mahnenden Gedächtnisses. Auschwitz hat demnach nicht das Andenken an gemeuchelte Juden zu sein: es muß verallgemeinert werden, hat als Andenken an das große menschliche Unrecht herzuhalten, als Mahnung dessen, dass der Mensch des Menschen Wolf ist. Es hat Mahnmal der menschlichen Rasse zu sein.

Ein derart generalisierter Leitgedanke des Gedenkens, er würde auch selbstgerechten Oberrabbinern, die gegen arabische Mieter keifen, Einhalt gebieten...



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