Die Linke, der Marxismus und der Islam

Montag, 29. Februar 2016

Der Moralphilosoph Michael Walzer sagte im letzten »Philosophie Magazin«, dass Linke nur bedingt in der Lage seien, den Islam zu kritisieren. Weil für sie nämlich »Religion […] immer noch ein Überbau [sei], wie Marx es nannte, und die einzige wichtige gesellschaftlichen Kräfte […] ökonomischer Art [seien]«. Das ist tatsächlich ein gewichtiger Grund. Unter Linken hat sich diese Ansicht über Jahrzehnte behauptet, wonach religiöse Erscheinungen nicht zuerst da seien, sondern die Verteilung der Güter das Fundament jedes gesellschaftlichen Phänomens darstellten. Dass das Sein das Bewusstsein präge, nicht andersherum wie noch bei Hegel, gilt als eine von Marxens bekanntesten Sentenzen. Zwar hat sie Abwandlungen erfahren, siehe bei Arjun Appadurai (»The Social Life of Things«), aber grundsätzlich gehört es nach wie vor zum linken Diskurs, die Grundlagen des Seins als die »Werkstatt« des Bewusstseins zu deklarieren.

Kann man mit dieser materiellen Haltung den aktuellen Ereignissen in der Welt begegnen und vor allem gerecht werden? Darf der Islam - von diesem linken Standpunkt aus betrachtet - als Kritikpunkt weiterhin uninteressant bleiben? Wenn er nicht Ursache, wenn er lediglich Symptom ist, muss man ihm ja schließlich keine – oder doch nur wenig – Beachtung schenken. Ist es nicht verschwendete intellektuelle Energie, den eigentlichen Agens aus den Augen zu verlieren, indem man etwaigen Konsequenzen auf die Pelle rückt?

Walzer liefert ja auch keine Belege. Er spricht von Radikalisierung, die stattgefunden habe. Das bezweifelt ja auch keiner. Woher sie kommt, was sie begünstigt, geht bei ihm eher unter. Er kanzelt linke Intellektuelle zwar nicht ab, attestiert ihnen sogar, dass sie bei manchen Einschätzungen richtig lägen. Doch ihre marxistische Einschätzung, so meint er wohl, würde sie die Realität nicht vollumfänglich richtig einschätzen lassen. Wie gesagt, sein Einwand ist berechtigt, aber gleichwohl müsste er liefern, wieso materielle Grundlagen nicht per se die Verantwortung für die extremste Auslegung des Islam, für den so genannten Islamismus also, tragen. Aus einer Laune heraus entscheidet man sich nicht einfach mal dafür. …

Armut und religiöse Fanatisierung – einige Zahlen fernab des Islam dazu: In den US-amerikanischen Bundesstaaten Alabama, Arkansas, Kentucky, Mississippi, Oklahoma, South Carolina und Tennessee geben jeweils mehr als 44 Prozent der gesamten Bevölkerung an, Anhänger der evangelikalen Kirchen oder Bewegungen zu sein. Alle sieben Bundesstaaten firmieren beim Bruttoinlandsprodukt unter auf den letzten Plätzen, nirgends in den Vereinigten Staaten ist die Armut und die Arbeitslosigkeit (durchschnittlich) größer. Von dort schwappte dieser neue frömmlerische Puritanismus, der sich zum Beispiel gegen Homosexualität und vorehelichen Sex wendet, der Glaubensabweichungen nicht toleriert und in »Jesus Camps« zu Glaubenskriegen motiviert auch nach Mittelamerika aus. In Mexiko wächst der Evangelikalismus beständig an. Das von Armut und Korruption gebeutelte Land hat besonders in der Region um Chiapas eine evangelikale Hochburg entstehen lassen. Dort ist die Armut am höchsten im gesamten Land.

Oder nehmen wir zur Abwechslung mal das ultraorthodoxe Judentum. Laut »Haaretz« leben an die sechzig Prozent, die das Judentum nach den Dogmen der Ultraorthodoxie leben, in Armutsverhältnissen.

Hier ist weder der Platz noch der wissenschaftliche Rahmen, um Zahlenmaterial zu sichten und weitere Kennzahlen nachzuschieben. Aber grundsätzlich lässt sich sagen, dass der Marxismus in dieser Angelegenheit aktuell ist wie eh und je. Radikalisierungen, die Heilsversprechen und jenseitige Besserstellung versprechen, gedeihen in Armut. Vielleicht nicht nur, auch nicht ganz so arme Charaktere radikalisieren sich, aber als Massenphänomen treibt eher die Armut hinein. Gleich mehr noch dazu. Jedenfalls ist es nicht besonders realistisch, wenn man nun so tut, als sei die Radikalisierung in Teilen der islamischen Welt ein Phänomen, das dem marxistischen Verständnis von Lebensverhältnissen und Überbau irgendwie entschwoben ist. Wieso sollte das in diesem konkreten Fall anders sein? Wieso soll es nicht die Armut sein, die die Gemüter willig macht für die Stumpfheit religiöser Heilsversprechen?

Oft hört man ja jetzt den Einwand – und man kann annehmen, Walzer spielte darauf an -, dass viele der islamistischen Attentäter aus besseren Verhältnissen stammen, manche sogar aus dem Westen, in denen es ihnen materiell sogar dann besser als dem Mittelstand in einem islamischen Land gehe, wenn sie nur als Sozialhilfeempfänger lebten. Der Vergleich hinkt, weil Armut ein relativer Begriff ist, aber der Einwand ist ja trotzdem nicht ganz falsch: Viele Köpfe der Radikalisierung sind und waren keine armen Schlucker, sondern kamen teilweise sogar aus reichem Hause. Der australische Soziologe Riaz Hassan fand in mehreren Studien heraus, dass die Radikalisierung westlicher junger Männer und Frauen nicht immer mit materieller Armut zu tun habe, sondern oftmals mit einer «Mischung verschiedener Motivationen aus Politik, Demütigung, Rachegefühle, der Wunsch nach Vergeltung sowie Altruismus» korreliere.

Man könnte sagen, dass sie zwar an einer Armut litten, die reichlicher ausgestattet war als Armut andernorts, aber durch die Stigmatisierung und Ausgrenzung radikalisiert wurden. Und ferner könnte man behaupten, dass sie sich aus Gründen der Verbundenheit mit denen, denen es auch schlecht geht, terroristisch artikulieren (»Terrorismus als Kommunikationsstrategie«). Religiöser Eifer ist eben nicht einzig und alleine »der Ausdruck des wirklichen Elendes«, sondern zugleich auch »die Protestation gegen das wirkliche Elend«, wie Marx es 1844 in »Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie« anmerkte.

Ich sage mal so: Solange man keine schlüssige Erklärung liefert, was Menschen außer Not und Ausgrenzung und anhaltend depravierten Zuständen in die (religiös und/oder ideologischen) Radikalisierung treibt, solange muss man den marxistischen Anhaltspunkt als beinahe unantastbar betrachten. Alle Indikatoren sprechen für die alte These, dass Religion ein Überbau und nicht das Fundament ist. Mit Marx gesprochen: »Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist.« Nach diesem Satz kommt die berühmte Sentenz mit dem Opium, die zu oft zitiert wurde, um an dieser Stelle nochmals genannt zu werden. Und manche profane Ideologie wurde später wie jenes religiöse Opium konsumiert. Aber das führt jetzt zu weit.

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Alternative für Sachsen?

Freitag, 26. Februar 2016

Alle Sachsen sind Nazis. Das müssen wir jetzt endlich einsehen. Es war eine Lebenslüge anzunehmen, dass sie es nicht wären. Sind sie. Jeder Sachse ist Kind veralteter Denkweisen und gar nicht für die westliche Demokratie adaptierbar. Was wir jetzt brauchen ist eine Alternative für Sachsen.

Gut, vielleicht müssen wir etwas abfedern, ein klein wenig weniger generalisierend sein: Nicht jeder Sachse ist Nazi, aber jeder Nazi ist doch zumindest ein Sachse. Es gibt freilich auch viele anständige Sachsen, aber natürlich ist auch in ihnen der Keim des Nazismus angelegt. Das zu leugnen wäre gefährlich und unverantwortlich und wird man doch noch mal sagen dürfen. Das Sächsische ist das Produkt einer grausamen Ideologie. Schon in Urzeiten unter Widukind konnte man erkennen, wohin der Saxofaschismus führen würde. Dauernd rebellierte dieser Prügelprinz, zog in Schlachten, tötete Frauen und Kinder und war von verschlagener Machart. Widukind war ein Nazi und seine Nachfahren sind es geblieben. Es ist wohl Teil der sächsischen Lebenswirklichkeit, einen starken Hang zum Nazismus zu entwickeln und zu kultivieren. Mit dieser Haltung sind diese Leute natürlich nicht integrierbar in eine moderne Gesellschaft.

Der Nazismus wirkt ja auf vielen Ebenen. Kulturell beispielsweise, wenn er fröhlich Dynamo anfeuert oder an Stammtischen Liedgut trällert, »Sing, mein Sachsennazi, sing«, des woar imma sei eischen Ding - oder aber natürlich wenn er am Bildungsniveau scheitert. Der Nazismus ist eine Ideologie, die Unbildung voraussetzt und fördert und demgemäß denkt sich der durchschnittliche Sachse gar nichts dabei, wenn er ohne weiterführende Bildung ins Leben hinaustritt. Der Sachsismus ist ein Hindernis für Aufklärung. Das ist ein Stolperstein für alle, die von einer multikulturellen Gesellschaft mit Sachsen träumten. Der Sachse ist und bleibt ein alter Widukind, der von Ideen, die seinen Lebensstil angreifen, nicht zu beeindrucken ist. Seine Einbettung in die Gesellschaft ist daher oft oberflächlich und Sprachtests würden manche von ihnen entlarven und ihre Parallelgesellschaft bloßlegen. Zur Not müsste man an der Grenze schießen, aber bitte nicht auf Sachsenkinder.

Es ist doch einfach so, dass hier eine Lebenslüge kollidiert. Die etablierten Parteien haben die Augen geschlossen gehalten und so getan, als könnten wir jeden in unserer Mitte integrieren. Jetzt kommt raus, was die schweigende Mehrheit immer wusste: Der Sachse passt nicht ins moderne Abendland. Dem Sachsen höckt etwas für die heutige Zeit völlig Fremdes inne. Als »pogrombejahender sächsischer Platzhaltertyp« hat er sich überlebt. Und weil das die etablierten Parteien nicht einsehen wollen, muss einfach eine Alternative zum Laxensachsenwahn her, eine AfS, die endlich aufräumt mit dem gescheiterten Projekt. Eine konsequente Abschiebepraxis muss her. Besonders für jene Sachsennazis, die auffällig werden. Die anderen können ja bleiben, sofern sie einsehen, dass sie mit ihrem Nazismus nur Gäste in unserer Zeit sind.

Wohin mit denen, die wir dann tatsächlich abschieben? Nach Helgoland! Aber davor drücken wir ihnen eine Angel in die Hand, damit wir den Briten sagen können, dass das noch völkische Überbleibsel aus jener Zeit sind, da Britannia auf der Miniaturinsel ruled the Waves. Komm, Angel', Sachse - und vergiss nie: Wir sind das Volk! Wir sind das Volk! Du nicht!

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Der Stuhl Petry und der suizidale Ehemann

Donnerstag, 25. Februar 2016

Darf man nun mit der AfD reden oder nicht, ihr ein Forum bieten oder nicht, sie zu Elefantenrunden einladen oder nicht? Es gibt Für und Wider. Aber eines ist klar: So wie manch einer mit ihr unter der Gürtellinie kommuniziert, schadet man dieser Partei nicht: Man stärkt sie.

Letzte Woche hat er es ihr aber so richtig gegeben. Der Günther Oettinger. Der Frauke Petry. Wenn diese komische Person seine Frau wäre, so stichelte er gegen die Vorsitzende der There is no Alternative für Deutschland, dann würde er sich erschießen. Unter diesen Umständen mag manchen zwar die Zwangsverheiratung wieder als attraktive Option in den Sinn kommen, aber seien wir ehrlich: So eine Maßnahme ist so sinnlos wie das Zuhalten von Augen und Ohren, das mancher etablierte Politiker jetzt mit infantiler Ignoranz praktiziert. Eine solche Praktik ändert ja nichts, genauso wenig wie es etwas ändern würde, wenn sich ein angeekelter Ehemann in eine Kugel stürzte. Seine Frauke wäre ja immer noch da. Jemanden loszukriegen, indem man sich selbst los wird, ist eine doofe Art zur Bekämpfung unerträglicher Zeitgenossinnen.

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Zurück zum Klassismus!

Mittwoch, 24. Februar 2016

Bis vor kurzem hatten wir eine gravierende soziale Schieflage. Jeder wusste es mehr oder weniger. Was man sich daraus machte, war dann allerdings die Sache der politischen Einstellung. Entweder empörte es einen oder man nahm es als normale Ordnung der Dinge hin. Wir haben diese Schieflage durchaus immer noch. Nur liest man weniger darüber. Noch immer gibt es Langzeitarbeitslosigkeit und Kinder aus armen Familien, noch immer mangelt es in den unteren gesellschaftlichen Schichten an Geld und die öffentliche Hand ist auch weiterhin unterfinanziert. Das Gesundheitswesen ist eine Ständegesellschaft mit Einzelzimmer und Chefarztbehandlung für die einen und spartanischer Notversorgung (der berühmten »Kassenleistung«) für die anderen; Zahnersatz ist eine Statusfrage, keine der medizinischen Notwendigkeit oder gar der Menschenwürde - und selbst der soziale Wohnungsbau ist ein Relikt, eine blasse Erinnerung längst vergangener Tage. Was uns aber beschäftigt, das sind die Flüchtlinge. Fast ausschließlich. Sie beschäftigen uns auf die eine oder andere Weise. Diese Menschen in existenzieller Not haben ungewollt die Schieflage als Sachthema abgelöst.

Es hat sich was verändert in dieser Republik: Der Rassismus hat den Klassismus als Hauptthema abgelöst. Der Anti-Rassismus im Umkehrschluss den Anti-Klassismus. Man liest nur noch wenig über diese negativen »Segnungen des Neoliberalismus«, jetzt hat ein anderes Sujet Omnipräsenz ergriffen. Natürlich ist die Erscheinung so vieler Geflüchteter ein Wendepunkt in der europäischen Geschichte der Nachkriegszeit, selbstverständlich wird das Ereignis unsere Gesellschaft modifizieren. Aber gleichwohl haben wir noch immer dieselben Probleme, die wir schon davor hatten. Wir leiden an sozialen Ungleichgewicht, der Niedriglohnsektor ist noch immer ein Massenmarkt, dort werden immer noch Menschen und deren Arbeitskraft im Flexibilisierungswahn und unter Kriterien des Lohndumpings verheizt; Sozialstandards werden ruiniert, selbst die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird von Arbeitgeberseite moniert und kaum jemand regt sich darüber auf, weil es viel mehr Aufregung über jene Menschen gibt, die aus einem Kriegsgebiet zu uns geflüchtet sind.

An dieser Stelle muss man vorsichtig sein, denn das oben Gesagte ist nicht so gemeint, wie man das derzeit an jeder Ecke hören kann. Nämlich so, dass man zunächst die heimischen Probleme behandeln sollte, bevor man die der Leute in die Hand nimmt, die ins Land kamen. Also nicht dieser dämliche Versuch einiger besorgter Bürger, die irgendwas vom armen Hartz-IV-Bezieher quasseln (der sie vorher einen Dreck interessiert hat), der ja nun das unmittelbare Opfer der Flüchtlinge sei. Nein, so darf man das nicht verstehen! Aber es ist schon erstaunlich, dass soziale Themen jetzt so vollkommen abgedrängt werden, als ob es keinerlei Interessensgemenge diesbezüglich mehr gäbe, als ob wir alle unseren sozialen Probleme schon geregelt hätten und nun zum nächsten Punkt der To-Do-Liste übergehen könnten. Dabei gehören neoliberale Austeritätspolitik im Inneren und die Flüchtlinge nicht als getrennte Punkte auf die Agenda, sondern müssen miteinander betrachtet werden. Beides sind Verwerfungen eines Systems, beides sind Folgen einer Politik, die gewissenlos Sachzwänge delegiert, wo sie für Menschen einstehen müsste.

Aufmacher handeln von Flüchtlingen. Im Guten wie im Schlechten. Meldungen vom Arbeitsmarkt und aus dem Sozialwesen sind Randnotizen, damit lassen sich derzeit scheinbar keine Absatzzahlen, keine Klickraten potenzieren. Es war eh immer ein hartes Brot, wenn man aus diesem Ressort berichtete, denn die Menschen wollten stets eher Positives lesen, was es dort so gut wie nicht gab. Dauernd wurde von Sparaufträgen und Kürzungen berichtet, von Jobwundern, die keine waren, von Selbstinitiative und Eigenantrieb, wo man eigentlich Spielball der Marktdynamiken war. Schönwettermeldungen glaubte das Publikum schon lange nicht mehr, die Krisen der letzten Jahre haben manchen Optimisten ernüchtert. Die Armut griff um sich und man wusste es genau. Und sie tut es noch immer. Weiß man es derzeit noch? Die Probleme sind nämlich überhaupt nicht beseitigt, sondern verschärfen sich. Aber wir lesen lieber etwas Hanebüchenes über die Triebhaftigkeit arabischer Männer und die Dummheit von Massen, die über Geflüchtete herziehen wie Kleinhitler beim Tobsuchtsanfall.

Dabei gehört beides auf die Tagesordnung. Ganz weit nach oben. Wenn wir Menschen integrieren wollen, denen die Heimat abhanden kam, kann das nicht in einem Sparstaat sein, nicht auf einem Arbeitsmarkt, der Menschen schon jetzt gleichzeitig zu Arbeitenden und Transferleistungsbezieher degradiert, zur Brigade der Working Poor, die aufstocken muss, wo eigentlich Arbeitgeber die Lebenshaltung ihrer Arbeitskräfte garantieren müssten. Der Staat auf Sparflamme eskaliert das Potenzial integrativer Leitgedanken, er sperrt die Mittel zur Eingliederung und hält die Parabel von einem viel zu kleinen Kuchen hoch, von dem nicht jedem ein Stückchen zufallen kann. Der Austeritätsstaat drückt die finanziellen Mittel so tief, dass es zwangsläufig Verlierer geben muss. An dieser Nahtstelle wird aus dem eigentlichen Klassismus ein undurchdachter Rassismus, jagt man Bürgerkriegs- und nicht Steuerflüchtlinge, peitscht man gegen Einwanderer mit arabischen Wurzeln und rüttelt nicht an der Wurzel der Zwei-Klassen-Gesellschaft.

Es ist dringend an der Zeit, dass wir zurückkehren zum Klassismus. Der Krieg gegen die Armen wird nicht von den Armen angezettelt, die ins Land kommen. Er wird in den obersten Stockwerken von Konzernen verwaltet. Den Großkonzern im eigenen Land stehen die Lohnabhängigen und Arbeitslosen allerdings nicht näher, als den Ausgebeuteten und Vertriebenen aus dem Ausland. Zurück zum Klassismus also - um ihn zu diskutieren, ihn abzufedern, gegen ihn zu kämpfen. Rassismus ist keine Alternative für Deutschland. Keine Alternative für Klassenbewusstsein.

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... wenn man trotzdem lacht

Dienstag, 23. Februar 2016

»Dabei ist kommunizieren natürlich das Gegenteil von dem, was es zu sein vorgibt. Dass kommunizieren verständigen bedeutet, das glauben allenfalls noch die Verfassers eines Fremdwörterbuchs. Kommunizieren meint doch eigentlich un-verständigen oder verunständigen. Wenn es darum geht, etwas zu vernebeln und zu vertuschen, werden Kommunikationsexperten hinzugezogen. Wenn etwas verzerrt, beschönigt, einseitig dargestellt oder völlig aus der Luft gegriffen werden soll, dann heißt es, dass es nach außen kommunziert werden muss. Und wenn mal die Wahrheit ans Licht kommt, wenn etwas so geschildert wird, wie es sich tatsächlich abgespielt hat, dann spricht man vom Kommunikations-Super-GAU. Kommunikation hat tatsächlich so wenig mit Kommunikation zu tun, dass ein Außerirdischer, der die Bedeutung des Wortes Kommunikation aus dem täglichen Gebrauch erschließen sollte, es als »belügen« oder als, bildlich gesprochen, »mit Scheiße parfümieren« übersetzen würde. Oder dass jeder jedem jederzeit jeden Mist zukommen lassen kann. Kommunikation ist selten mehr als ein permanentes, lautes, unentrinnbares Quaken. Darin sind sich alle einig. Deshalb sagt auch kein Mensch, Goethe habe mit Schiller kommuniziert. Die haben sich geschrieben. Wer sich was zu sagen hat, kommuniziert nicht miteinander. Kommunikation ist eine Pest, eine Lügenpest, eine Beschönigungs- und Beschwichtigungspest. Die einfachsten und klarsten Dinge werden völlig verdreht, und schwierige, komplizierte Sachverhalte werden so vergröbert und versimpelt und vereinseitigt, dass gar nichts mehr stimmt.«
- Thomas Brussig, »Schiedsrichter Fertig« -

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Obergrenzen, Untergrenzen

Montag, 22. Februar 2016

Theodor Hosemann,
Armut im Vormärz
Den Meinungsmachern der »Frankfurter Allgemeinen« stinkt der Mindestlohn. Vielleicht kostet sie nun die Haushaltshilfe mehr. Oder sie muss, da geringfügig beschäftigt, nicht mehr ganz so viele Stunden damit zubringen, den Unrat zu beseitigen, den ein Meinungsmacher den ganzen Tag über so verursacht. Wie dem auch sei, sie erzeugen Stimmung dagegen und schimpfen auf die Sozialdemokraten, die keine Ausnahmen für Flüchtlinge erlauben wollen. Die böse SPD, die uneinsichtige SPD. Dabei ist diese Partei als halbrechter Flügel der Union so brav gewesen in den letzten Jahren. Da sieht man eben mal, dass Integration nie richtig klappt. Man bleibt immer der Fremde, da kann man sich noch so anpassen wollen als Sozi in der konservativen Leitkultur. Warum man bei der FAZ findet, dass ein Lohnstandard für Flüchtlinge nicht gelten soll? Deswegen: »Wer als Schutzsuchender nach Deutschland kommt, hat Anspruch auf genau das: Schutz. Auf mehr nicht.« Klingt schlüssig, Problem ist nur, dass so ein Standard keine rein individuelle Garantie ist.

Ein Mindestlohn holt Einzelfall für Einzelfall aus Arbeitsverhältnissen heraus, die schlecht, unangemessen oder sogar sittenwidrig bezahlt werden. Man könnte also natürlich meinen, dass er ganz subjektiv greift, nur einzelnen Lohnabhängigen hilft. Aber hinter der Etablierung eines solchen Konzepts steht ja nicht nur, dass man Hinz und Kunz aus der Misere verhelfen will, man will kollektiv dafür sorgen, dass gewisse Geschäftskonzepte und -modalitäten nicht mehr Gestalt annehmen können. Anders gesagt: Der Mindestlohn ist eben nicht nur der Anspruch eines Einzelnen, er ist viel mehr noch eine grundsätzliche Garantie für die Allgemeinheit. Er wirkt zwar fürwahr subjektiv, objektiviert aber zeitgleich; er ist ein Individualanspruch, der simultan eine Kollektivgarantie ausspricht: Nämlich nicht mehr für eine Summe schuften zu müssen, die unter einer gewissen Grenze liegt und damit menschliche Arbeitskraft entwertet.

Genau diesen Umstand vergisst man bei der »Frankfurter Allgemeinen«, wenn man jetzt mal wieder Meinung macht dagegen. Denn dass Flüchtlinge nur Anspruch auf Schutz hätten, nicht aber – sofern sie Arbeit ergreifen – auch einen Anspruch auf gerechte Bezahlung, steht gar nicht unbedingt im individuellen Kontext. Wäre dem so, könnte man – so ein wenig aus dem Bauch heraus – sogar zustimmen. Aber genau so verhält es sich mit dem Mindestlohn ja eben nicht. Es geht nicht nur um den Geflüchteten, der jetzt arbeitet. Es geht um alle, die lohnabhängig beschäftigt sind. Wenn das Gefüge wieder aufplatzt, weil es Nischen im System gibt, in dem man unter Mindestlohnniveau arbeiten lassen kann, dann berührt man die kollektive Garantie, die ein unteres Mindestmaß an Stabilität verwirklichen soll; so verbilligt man Arbeitskraft wieder und tangiert damit eben nicht nur den Asylbewerber, sondern die Allgemeinheit, also alle, die sich als abhängig Beschäftigte verdingen müssen.

Nun ist es ja über Jahre hinweg so gewesen, dass diese Tageszeitung aus Frankfurt Werbung für neoliberale Ideen und Ideale machte. Es ging um Vereinzelung, Selbstinitiativen, um Isolierung des Individuums und um Entsolidarisierung. Ganz im thatcheristischen Sinne, wonach es ja gewissermaßen keine Gesellschaft gäbe, sondern nur einzelne Familien oder Personen. Dass man also in jener Redaktion verlernt hat, einen Ansatz wie den Mindestlohn als eine Einrichtung zu verstehen, die nicht lediglich dazu gedacht ist, um das vom Gesellschaftlichen entkeimte Individuum mit Ansprüchen auszustatten, muss man wohl als die Verlorenheit dieser Zeitung in den Tiefen dieser Ideologie bewerten. Wenn man mehr als knöcheltief in der pseudoliberalen Suppe steckt, dann ist es wohl ziemlich schwierig, sich einen gesellschaftlichen Aspekt zu denken. Dann sieht man nur die Putzfrau, die montags, mittwochs und freitags durchwischt und nun gierig mehr will, nicht aber das Heer an Putzkolonnen, das sich bis vor einigen Monaten abstrampelte und trotzdem zum Jobcenter musste.

Jedes Abweichen, jede Ausnahmeregel geht alle an, nicht nur den Geflüchteten, der für weniger als Standard malochen soll. Denn an dieser Schneise degradiert man menschliche Arbeitskraft wieder, dumpt den einzigen Rohstoff, den so viele Beschäftigte haben: Eben ihre Arbeitskraft. Wer die willfährig zu Schleuderpreisen anbieten will, der schadet allen, die froh sein müssen, dass es eine Untergrenze gibt. Dass die FAZ so argumentiert, passt natürlich ins Konzept. Sie will Obergrenzen für Menschen, denen die Heimat zersprengt wurde und Untergrenzen für jene, bei denen die Obergrenzen nicht gegriffen haben. Die Freiheit mit allerlei Grenzen halt: Das ist der Liberalerismus jener, die sich mit dem Präfix Neo- zieren.

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Schwarz und weiß und bunt gemischt

Donnerstag, 18. Februar 2016

Seit Silvester ist der dunkelhäutige Mann und sein Verhältnis zur weißen Frau wieder Thema. Er könne das weibliche Geschlecht überhaupt nicht respektieren und sei immer übergriffig. Theresa und ihre österreichischen Freundinnen aber beweisen: Dieses geschmacklose Verhalten ist unisexy.

Die Österreicherin Theresa hat Geburtstag. Irgendwo in einem Hotel in Kenia. Dort verbringt sie ihren Urlaub. Sie macht sich chic, will ausgehen, sich einen weiteren schwarzen Mann für die Nacht sicherstellen. Drei oder vier hatte sie in der kurzen Zeit ihres Aufenthalts bereits. Da klopft es plötzlich an der Zimmertüre und ihre österreichischen Urlaubsbekanntschaften, alles Frauen ihres Alters, stürmen hinein mit einem Geschenk: Mit einem jungen Schwarzen. Sie knipsen die Musik an und weisen ihn an zu tanzen. Geil soll er sich bewegen, afrikanisch-geschmeidig. Und ausziehen soll er sich freilich auch. Also strippt er, wackelt auf dem Bett hin und her und lässt sein Ding baumeln. Alle sind aus dem Häuschen, ziehen sich aus, Wülste und Brüste umgarnen den »geilen Neger«, wie sie ihn heißen, betatschen ihn, fummeln ihm ein Schleifchen um den Penis und kneten seinen Hodensack.

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Das Versagen des Bildungssystems

Mittwoch, 17. Februar 2016

Charles Nègre, Lesender
Schüler im Freien
Wir haben in den Jahren der neoliberalen Sparagenda so viel über Bildungspolitik gesprochen. Über effizientere Verfahren, zielgerichtetere Bildungsinhalte, über Prüfungsstandards und internationale Vergleiche. Pisa war plötzlich kein schiefer Turm mehr. Es ist komisch, dass ausgerechnet jetzt, da das völlige Versagen der deutschen Bildungspolitik in den sozialen Netzwerken und auf abendlichen Kundgebungen offenbar wird, kein Mucks mehr über Bildung verloren wird. Stattdessen reden wir vom Hass dieser Leute. Dass der mit orthograhischer Heimsuchung und unterirdischer Allgemeinbildung, ohne Punkt und Komma und mit völliger Aufgabe einer halbwegs gesitteten Rechtschreibung, über dieses Land kommt, scheint nur wenige zu stören. Kann es nicht einfach sein, dass es der begrenzte Horizont dieser Leute ist, der nur so hasserfüllt aussieht? Hat man das Schlagwort von den »bildungsfernen Schichten« einfach nur durch den »besorgten Bürger« terminologisch ersetzt?

Es ist schon hart in einer Welt zu leben, die man kaum begreift. Selbst mit Bildung, mit Interesse am Wissbaren ist es ja zuweilen zum Resignieren. Da sind so viele Strömungen, Bewegungen, Dynamiken, geographische Besonderheiten, historische Kontexte, soziale Grundlagen, gesellschaftliche Konventionen, Aberglauben und Religionen, Technologien und Traditionen. Alles kulminiert in dem, was wir als Nachrichten präsentiert bekommen, alles ist vermengt im Tagesgeschäft. Man kann nicht alles immer wissen. Aber wenn man so gar nichts weiß von der Welt, die einem umgibt, dann ist das nicht nur traurig und schauderhaft, es muss vor allem auch richtig hart sein. In einer Matrix zu leben, die undurchdringlich scheint, muss Angst machen. Wahrscheinlich ist der Hass, den man uns jetzt jeden Tag in den Gazetten verkauft, der aus dem Netzwerken sickert und auch im Alltag als solcher Überhand nimmt, nichts weiter, als ein Symptom mangelnder Kenntnisse. Dass man die in schriftlich Absonderungen voller Fehler seiner Umwelt präsentiert, stützt diese These nachhaltig.

Die Politik jammert dieser Tage zuweilen auch über den unerträglichen Hass. Aber wenn der ja nur ein Symptom ist, muss man die Ursache finden und daran arbeiten. Jetzt, genau jetzt ist es an der Zeit, eine Bildungsoffensive zu starten. Endlich eine richtige, eine gegenständliche Bildungsoffensive anzuleiern. Nicht die Stückwerkerei, die man uns vorher als Bildungsgipfel und dergleichen verkaufte und bei denen es letztlich nur um Finanzierbarkeiten und schnellere Abschlüsse ging. Es reicht eben nicht aus, die Bildungsstandards an den Bedürfnissen der Wirtschaft auszurichten. Ein Recht auf Bildung zu haben heißt auch, dass man ein Recht darauf hat, Dinge zu erlernen, die zunächst mal nicht sofort im täglichen Arbeitsrhythmus verwertbar sind. Bildung lässt sich grundsätzlich gar nicht verwerten – man hat sie. Oder eben nicht.

Ein Blick auf das Phänomen, das wir jetzt als »Hass« bezeichnen, sollte doch offenlegen, dass wir nun wieder stärker über Bildung sprechen müssten. Nicht über Sparpotenziale oder Föderalismus, nicht über verkürzte Abschlusswege und kupierte Lerninhalte, sondern darüber, wie man die Menschen fit macht für die Realität, für ein anständiges zwischenmenschliches Miteinander, das auf einer Basis aus Wissen gründet. Haben wir nicht zu viel weggelassen in den Schulen? Zu wenig Geschichtliches, zu wenig Soziales vermittelt? Zu einer umfangreichen Wissensvermittlung gehört mehr als unmittelbar Notwendiges, das man im Alltag in erster Linie braucht. Man muss rechnen können. Lesen wäre auch nicht schlecht. Schreiben sowieso. Aber auch da hapert es schon, wie wir wissen. Doch sind Geschichte, Geographie und soziologische Fächer denn unnötig deswegen? Man klicke in Facebook und Konsorten und man ahnt: Nein, das ist mindestens so wichtig, denn ein Mensch reift nicht am so genannten Notwendigen, lebt nicht vom Brot alleine.

Sicherlich, Bildung ist kein Allheilmittel. Unter allen menschenverachtenden Gruppierungen, die man so kannte und noch kennt, sind immer auch gebildete Leute zu finden. Aber das Heer an Mitläufern wäre doch wohl kleiner, wenn es mehr Menschen gäbe, die gelernt hätten, ihren Verstand zu benutzen, die Wissen als bewusstes Gut in sich tragen würden, das sie auch anwenden können in jeweiligen Situationen. Wissen ist vielleicht nicht Macht, aber Wissen macht nachdenklicher, lähmt ungesunden Aktionismus, der nur um des Aktionismus' willen aktiviert.

Man kann sich jetzt wirklich über den Hass aufregen, kann die hasserfüllten Fratzen anfeinden, sie auslachen in ihrer hilflosen Dummheit – oder man bringt endlich auf den Tisch, was zu solchen Auswüchsen führt: Das Versagen eines Bildungssystems. Das bedeutete gleichwohl, dass über neuen Bildungselan gesprochen werden muss, über ein Rausholen ganzer Gesellschaftsschichten aus der cerebralen Agonie zwischen »Frauentausch« und Bildungsverdrossenheit. Und es dürfen die schulischen Ansprüche nicht beständig nach unten geschraubt werden. Bildung darf ruhig Schweiß kosten. Lerninhalte sollten ruhig auch schwierig sein dürfen. Das Ringen um Wissen ist zuweilen anstrengend.

Unberechenbare Wut ist eben manchmal nichts weiter als die Folge eigener Unzulänglichkeit. Dann regt man sich über die Wütenden auf. Das ist menschlich. Wir sollten uns aber auch über die aufregen, die diese Menschen in diese Situation gebracht haben, sich so unzulänglich zu fühlen. Ein Bildungssystem sollte die Menschen für die Anforderungen des Alltages und des Lebens fit machen. Jetzt sieht man, dass viele Menschen diesbezüglich nicht fit sind. Sie offenbaren eher, dass sie völlig unverständig sind, keinerlei Sensibilität besitzen und an den berühmten Tellerrand stoßen. Wenn diese Gesellschaft jetzt nicht beginnt, Bildung wieder als hohes Gut zu betrachten, dann kommen wir aus der Hassgesellschaft nicht mehr raus. Sollte die Bildung den neoliberalen Vorstellung hingegen entzogen werden, haben wir in zwanzig Jahren vielleicht verständigere Stimmen in den sozialen Netzwerken.

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Aus fremder Feder

Dienstag, 16. Februar 2016

»Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind keine natürlichen, instinktiven Reaktionen menschlicher Wesen, sondern in der Geschichte menschlicher Gesellschaften kulturelle und politische Phänomene, die durch Kriege, militärische Eroberungen, Sklaverei und die individuelle oder kollektive Ausbeutung der Schwächsten durch die Stärksten entstanden.«
- Fidel Castro, UN-Konferenz gegen Rassismus, 1. September 2001 -

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Eine gelobte Rede und ihre Gehaltslosigkeit

Montag, 15. Februar 2016

Mit etwas zeitlichem Abstand zur Goldenen Kamera lässt sich sagen: Ja, Respekt vor Dunja Hayali! Sich täglich aufzurappeln, obgleich man den Hass dieser unterversorgten Bürger (mehr so geistig betrachtet) frontal zu spüren bekommt, das bedarf schon eines starken Charakters. Aber nein, so romantisch wie sie es dann bei ihrer Rede ausgemalt hat, war es niemals. Journalisten machen eben nicht nur immer mal Fehler, sie berichten oftmals zielgerichtet und vertreten nicht unbedingt die Wahrheit, sondern die medialen Belange von Interessensgruppen und Lobbyverbänden. Und es ist eben nicht so simpel, wie ihr Appell suggerieren wollte: Einfach mal das Gespräch mit Journalisten suchen und mit diesen um Argumente zu streiten, das klappte bei einer ganzen Reihe von Themen über Jahre hinweg überhaupt nicht. Das heißt aber natürlich auch wiederum nicht, dass es die von langer Hand geplante Lügenpresse gibt.

Wir hatten schon mal besorgte Bürger in diesem Land. Sie vereinigten sich dann in einer neuen Linkspartei. Das war auch - oder vor allem - eine Folge der Neoliberalisierung dieser Republik. Diese neue linke Partei wollte auch um Argumente streiten. Mit den anderen Parteien und nicht zuletzt mit den Medien, die viele Jahre lang die Agenda des neuen Reformkurses vertraten und zum Beispiel Lobbyisten als Experten in Interviews und Talk-Runden tarnten und so Objektivität vorspielten. Der Jauch hat das mehr oder minder bis zuletzt so gehandhabt. Die Linke wurde aber wenig bis gar nicht eingeladen. Und wenn, dann wurden ihre Argumente heruntergespielt und verlacht. Ihre Protagonisten wurden zu infantilen Politgestalten degradiert und verspottet. Eine Einladung zum Dialog, wie Hayali das so romantisch ausformulierte, gab es eher nicht. Man vertrat eine Leitlinie und strafte die Gegner dieses Kurses mit Nichtachtung, mit zynischem Humor oder Kriminalisierung.

Bei vielen Themen war diese Haltung der Ignoranz, ja auch gezielte Manipulation und Unterschlagung - vielleicht nicht der Wahrheit grundsätzlich, aber die Unterschlagung des neutralen journalistischen Standards ganz sicher - außer Kraft gesetzt. Es ist eben nicht so, wie Hayali das in ihrer letzte Woche gefeierten Rede deklarierte, dass nämlich Journalisten sich als Menschen einfach nur ab und zu irrten. Nein, sie verwirrten - als Berufsstand. Man nehme die Ukraine und die Treiberei hin zu einem Konflikt mit Russland als prominentes Beispiel. Passenderweise ist dann auch ein ehemaliger ZDF-Mann der Regierungssprecher, was die Melange aus Berichterstattung und Politik nachhaltig unterstreicht und zeigt, dass es nicht immer so niedlich abläuft, wie Hayali das so emotional skizzierte.

Mit welchen Argumenten bitte hätte man der die Glorifizierung der Bundeskanzlerin in den Medien entgegentreten sollen? Wo wurden die Gegenargumente zu ihrem Griechenland- und Europakurs ausgebreitet und hätte laute Widerrede Journalisten auf irgendeine Weise beeinflusst? Gegenstimmen gab es faktisch keine, nur in den Nischen des Medienbetriebes. Der Mainstream aber schwieg oder hagiographierte mit. Auch Hayalis Morgenmagazin hat zwar hin und wieder auf das Leid der Bevölkerung hingewiesen, aber dann auch die Alternativlosigkeit manifest gemacht in seinen Berichten. Bewegte sich der Journalismus, ließ er sich argumentativ treiben?

Natürlich steckt hinter all dem, was medial schiefging und noch schiefgeht, nicht der große Plan von langer Hand einiger alter Damen und Herren, die alle Medien mit Kalkül gleichschalteten. Wenn man überhaupt von Gleichschaltung sprechen kann, dann nur insofern, dass da im vorauseilendem Gehorsam »geliefert« wird. Die Gründe sind meist recht profan. Wenn man zum Beispiel den monatlichen Obolus in sechsstelliger Höhe nicht gefährden will, den ein großer Automobilhersteller mit seinen Werbeseiten in einer beliebigen Zeitung abwirft, dann will man dem Geldgeber natürlich nicht auf die Füße steigen. Wenn der dann auch noch die Agenda 2010 schätzt und befürwortet, wenn er Steuervergünstigungen möchte, dann hält man in dieser Sache eben die Füße still oder man wird sogar noch zum Erfüllungsgehilfen dieser Wünsche und Sehnsüchte. Hätte man da den Dialog mit dem Journalismus suchen sollen, mit Argumenten dagegen streiten sollen, wie Hayali das so pathetisch in den Abend gerufen hat? Einige haben es ja versucht, hatten ein rotes Parteibuch, waren aus dem linken Flügel der Sozialdemokratie (Schreiner, Ypsilanti etc.) – doch man hat nicht mit ihnen diskutiert, ihnen nicht mal ein Forum geboten. Und falls doch, dann war es nie ergebnisoffen, dann wusste man stets schon, wohin man deren Einwürfe verortete, um sie unglaubwürdig zu machen.

Die Linke (die parteiliche wie die anders organisierte oder lebende) hat in den letzten Jahren schnell ein Gefühl dafür entwickelt, dass in den Medien nicht das abgebildet wird, was tatsächlich geschieht. Sie hat begriffen, dass Argumentationslinien gar nicht erwünscht sind, weil die Medien eine Rolle übernommen haben, die mit der klassischen Diskussionskultur gar nichts mehr zu tun hatte. Deshalb haben sie aber nicht gleich »Lügenpresse, Lügenpresse!« gerufen. Sie wussten, dass es Lug und Trug gab, aber es gab Nischen, gab noch einige Journalisten, die ihren Auftrag auch erfüllten. Sicher nicht im ZDF-Morgenmagazin, sicher nicht bei den Tagesthemen oder bei Jauch. Außerdem ahnte man, dass es nicht die Lüge an sich ist, die die Presse fabriziert, sondern das Weglassen und Verschleiern, das Verschweigen von kritischen Gegenstimmen und so weiter. Anzunehmen, dass alle Medien gleich arbeiten und dieselben Ansichten hegten, ist nicht nur dumm, es zeugt auch davon, dass man nicht wirklich in der Lage ist, zwischen verschiedenen Medien und ihren Haltungen zu unterscheiden. Für solche Leute ist alles rot, auch wenn es gelb oder schwarz ist.

Man kann Hayali persönlich keinen Vorwurf machen. Ob sie eine gute oder schlechte Journalistin ist, muss an dieser Stelle auch gar nicht geklärt werden. Jedenfalls muss sie einiges aushalten. Das hat niemand verdient. Aber das Pathos an jenem Abend und das Lob in allen Zeitungen übertüncht doch letztlich, wie sich dieses Land medial aufgestellt hat in den letzten Jahren. Nein, so einfach und so romantisch ist es halt eben nicht abgelaufen zuletzt. Dass Journalismus eine offene Angelegenheit sein soll, die jedem Bürger Mitsprache sicherte, wenn er nur anklingelt und argumentativ dagegenhält, ist eine billige Mär jenes Abends bei der Goldenen Kamera. So war Journalismus nicht geplant. Das merken nicht nur die bersorgten Bürger, die dann falschen Aktionismus entwickeln, das merkten schon vorher alle, die den neoliberalen Kurs der Gesellschaftsveränderung nicht wollten.

Und dass dann auch noch Jauch am selben Abend ausgezeichnet wurde, da Hayali für die eigentliche Sauberkeit ihrer Zunft warb, spricht wirklich Bände ...

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Hegelianer müsst' ma sein

Freitag, 12. Februar 2016

Martin Shkreli war im Dezember abermals das Herzchen des Monats in den Vereinigten Staaten. Wie schon zuvor im September erntete er Empörung, weil er völlig ohne Moral an der Krankheit anderer verdienen wollte. Doch eventuell brauchen wir nicht weniger, sondern im Gegenteil viel mehr von der Sorte.

Im Herbst des letzten Jahres zog sich der Hedgefondmanager und Unternehmer Martin Shkreli die Wut der Öffentlichkeit zu, weil eine seiner Firmen für ein lebensrettendes Medikament gegen die Infektionserkrankung Toxoplasmose, plötzlich nicht mehr 13,50 Dollar sondern 750 Dollar pro Tablette haben wollte. Im Dezember erwarb eine weitere seiner Firmen die US-Rechte an einem Mittel gegen die Chagas-Krankheit. Der Preis sollte pro Behandlungszyklus bei bis zu 100.000 Dollar liegen – in Südamerika kostet dasselbe Medikament ein Tausendstel davon. Natürlich gab es einen erneuten Aufschrei, man erklärte ihn sogar zum »meistgehassten Mann Amerikas«. Donald Trump dieser Tage in den Schatten zu stellen, muss einem erstmal gelingen. Der Hass gegen seine Person schlug hohe Wellen. Mittlerweile wurde er aufgrund einer älteren Geschichte verhaftet und man ist zufrieden, die Gerechtigkeit habe schließlich doch noch gewonnen.

Es ist schon interessant, dass in jener Nation, in der jeder Verteilungsakt zugleich als sozialistischer Rückgriff verunglimpft wird, plötzlich Leute an den Pranger geraten, die die Logik des Kapitalismus einfach nur umsetzen. Shkreli rechtfertigte sich nämlich, dass Märkte eben amoralisch seien, die Entitäten Gut und Böse keinerlei Bedeutung in diesem Kontext besäßen. Er pervertierte ja nicht mal die Logik des Marktes, sondern folgte ihr einfach nur konsequent. Trotzdem erzürnt das die Menschen in der kapitalistischen Hochburg jenseits des Atlantiks. Hillary Clinton kündigte darauf an, dass unter ihrer etwaigen Präsidentschaft eine Deckelung des monatlichen Eigenanteils bei chronisch Kranken auf 250 Dollar eingeführt werden soll. Und der Gierhals Shkreli, dieses amoralische Marktwesen, würde vielleicht so zu einem Kniff der hegelianischen Philosophie: Zur »List der Vernunft« nämlich.

Der olle Schwabe hatte es ja mit dem Weltgeist. Er war Optimist, dachte alles füge sich zum Guten, zum »Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit«, wie er dazu schwerfällig sagte. Aber irgendwann dämmerte ihm, dass die Geschichte der Menschheit ja nicht nur ein fortlaufendes Aufwärts darstellte, sondern viele Niedergänge darin enthalten waren. Hegel war nun mal Philosoph und die Welt sollte sich bitte an seiner Weltsicht orientieren und nicht andersherum. Also erfand er diese List, die immer dann am Werk war, wenn der Fortschritt urlaubte und sich von einer Rückwärtsentwicklung vertreten ließ. In solchen Phasen würde im Grunde ein neuer Aufschwung vorbereitet und irgendein Individuum handle gewissermaßen im Auftrag einer höheren Notwendigkeit. Diese sophistische Finesse mit der List rettete ihm das ganze Gedankengebäude. Er konnte wieder ruhig schlafen und weiterhin ohne Gewissensbisse endlose Schachtelsätze zur höheren Ehre der Philosophie drechseln.

Da hat die Menschheit Medizin erfunden und jeder könnte daran partizipieren. Aber unvermittelt kommt einer wie der Shkreli um die Ecke, der verdienen, nicht Kranke gesunden lassen will. Die unsichtbare Hand des Marktes ist halt zuweilen eine Klaue. Und erst jetzt fühlt sich plötzlich das Primat der Politik, sonst nur mutlos zurückhaltend in Marktfragen, aufgerufen, regulativ einzuschreiten. Aus dem Bauch heraus könnte man jetzt ja hoffen, dass es noch mehr von diesen Shkrelis gibt, von diesen fleischgewordenen Vernunftslisten, die wir brauchen, damit wir nicht nur Rückschritte, sondern dringend benötigte Fortschritte machen. Wir brauchen vielleicht diese völlig amoralischen Typen, die uns beweisen, dass das System eben nicht gerecht und ethisch ist, damit das politische Primat mal seinem Gestaltungsauftrag nachkommt.

Hegelianer müsst' ma sein und glauben können. Aber Hegel war ja dann auch schnell aus der Mode. Marx stellte Hegel dann vom Kopf auf die Füße und machte den Klassenkampf zum Motor der Entwicklung. Irgendwie stimmt das aber auch nicht mehr, denn vieles ist in der Welt, aber der Klassenkampf ist ein Saurier, der schon lange ausgestorben ist. Und Shkreli kommt sicher nicht als Klassenkämpfer daher. Die Philosophen haben die Welt halt nur verschieden interpretiert. Sie haben unterschätzt, wie verrückt die Dynamiken da draußen eigentlich sind.

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Hätte, könnte, Würde

Donnerstag, 11. Februar 2016

Stimmung lässt sich auf viele Arten machen. Entweder man poltert laute Parolen, die keinen Deutungsspielraum lassen. Oder man flüstert leise Doppeldeutigkeiten und lässt Interpretationen offen. Letzteres ist in Tagen, da man sich der Boshaftigkeit nicht mehr entblödet, unverantwortlich.

Auf der Internetseite des »Stern« konnte man letzte Woche folgende Schlagzeile lesen: »Bis zu 300.000 Flüchtlinge arbeiten schwarz«; untertitelt wurde die Überschrift mit »... daher boomt unter den Asylsuchenden die Schwarzarbeit«. Das ist eine miese Geschichte, dachte ich mir. Da werden die Rechten gleich wieder meinen, dass sie ein Argument gefunden hätten. Wenn man dann den darunter platzierten Artikel las, erfuhr man etwas über eine Analyse des Tübinger Instituts für Angewandte Wirtschaftswissenschaften und der Universität Linz. Darin gehe es um Schwarzarbeit und andere Illegalitäten. Unvermittelt dann noch folgender Satz: »Zwischen 100.000 und 300.000 Flüchtlinge könnten in diesem Jahr in Deutschland schwarzarbeiten, am plausibelsten erscheint laut Studienautor Schneider der höhere Wert.« Ach, alles nur Konjunktiv, da Prognose? Im Titel des Textes klang das noch viel faktischer. Genau das schließt der besagte Autor aber auch aus, er spricht von einer Annahme, nicht von Fakten.
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Die Gutmenschen, die ich so kenne

Mittwoch, 10. Februar 2016

Den Gutmenschen haben sie neulich mal zum »Unwort des Jahres« gekürt. Na gut, eine Kür ist es ja nicht gerade. Die Wahl erfolgte völlig zurecht, wenn man den Begriff so verwendet, wie es derzeit einige tun, wenn man also »Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd, als Helfersyndrom oder moralischer Imperialismus diffamiert«, dann ist er zweifelsohne negativpreiswürdig. Gleichwohl zeigt sich hier, dass es im täglichen Gebrauch Worte und Begriffe gibt, die man so und ganz anders meinen kann. Ich oute mich an dieser Stelle: Ich gebrauche zuweilen dieses Unwort auch. Ich meine dann nur ganz andere als ehrenamtliche Helfer, engagierte Menschen und altruistische Charaktere. Ich für mich benenne Personen damit, die ein gutes Motiv als Ursprung haben, sich aber dann in etwas verrennen. So habe ich vor Jahren den »Gutmensch« begrifflich kennengelernt.

Noch etwas vorneweg an die, die jetzt unken, dass ich gewissermaßen ein Wort aus dem Jargon der Nationalsozialisten verwende. Es gibt ja einige Theorien, wonach der »Gutmensch« terminologisch bereits bei den Nazis angelegt war. Sie hätten es irgendwie von dem jiddischen »a gutt Mensch« abgeleitet, es zynisch aufgeladen. Heute bin ich der Ansicht, dass das eine Konstruktion ist, der fromme Wunsch eines Philologen wahrscheinlich, der seine politische Anschauung in seine Theorie einbauen wollte. Die beiden Worte, die in darin stecken, sind viel zu unspezifisch, als dass man da klar eine terminologiegeschichtliche Aufarbeitung vollziehen könnte. Mit »gut« und »Mensch« ließe sich in jeder Generation, ohne einem etwaigen Vorwissen von dieser Komposition, immer wieder dieselben Termini erstellen. Und sie würden mit ziemlicher Sicherheit auch entstehen. Die einzelnen Worte sind wie gesagt einfach nicht spezifisch genug. Genau wie jener Ansatz, dass Hitler selbst den »Gutmenschen« erschaffen habe, weil er in seiner »Kampfschrift« immer wieder abwertend von gutmütigen Menschen sprach. Doch das ist hanebüchen. Es beweist aus meiner Sicht lediglich, dass schlechte Menschen immer zum spöttischen Zynismus zulasten jener fähig waren, die so viel besser waren als sie. Das Wort »Gutmensch« ist deshalb noch lange nicht Nazijargon.

Ich habe den Begriff anders kennengelernt. Das ist Jahre her, ich denke so um die Jahrtausendwende. Ein Gutmensch war damals einer, der das Gute will, aber das Schlechte betreibt, anfacht oder einfach nur in Kauf nimmt. Ein pazifistischer Grüner zum Beispiel, der Frieden durch Bundeswehreinsätze herstellen wollte. Ein Gutmensch ist jemand, der ein durchaus nachvollziehbares, ja vielleicht sogar anzustrebendes Ideal verfolgt, dazu aber Mittel anwendet, die überhaupt nicht mehr mit dem Guten vereinbar sind. Militante Nichtraucher fallen mir da noch ein; oder Leute, die aus Überzeugung und aufgrund des Tierschutzes kein Fleisch mehr essen, dafür auch werben und gleichzeitig alle Fleischesser als Mörder hinstellen und für nicht ganz normal erachten und ihnen einen moralischen Strick daraus drehen. Um Moralin geht es solchen immer. Es ist der Rohstoff, mit dem der Gutmensch hausieren geht. Und wer dem moralischen Anspruch nicht akzeptiert, den geht es mit ganz unmoralischen Mitteln wie Diskreditierung und Diffamierung an den Kragen.

In der »Zeit« vom 14. Januar diesen Jahres wird von der »Debatten-Polizei« an amerikanischen Hochschulen berichtet. Es geht darin um Trigger Warnings, also um die Entwicklung, dass Studenten künftig von ihren Professoren wegen des traumatisierenden Inhalts in Ovids »Metamorphosen« gewarnt werden wollen, bevor sie es lesen müssen. Da sich mancher Professor weigert, unterstellt man ihm allerlei, von fehlender Sensibilität angefangen bis hin zur sexistischen Einstellung. Sachlich geht es jedenfalls nicht mehr zu. Diese Leute haben vielleicht ein gutes Ziel vor Augen, aber sie verlieren dabei jedes Maß und jeglichen Realismus, werden zu Kriegern einer Idee, die ja eigentlich eher von »kriegerischen Inhalten« warnen und bewahren will. Slavoj Žižek schrieb erst kürzlich im »Philosophie Magazin Nr. 01/2016 über diese Entwicklung. Dass »das Subjekt […] geschützt und im Voraus vor allen potenziellen Störungen gewarnt werden [muss]«, ist seines Erachtens ein Kokon. Aber Studenten müssten »raus aus dem Kokon«, denn die Welt ist kein Schutzraum, man muss sich ihr stellen. Es gibt nun mal Dinge, die uns traumatisieren können, wenn wir sie erlesen, davon hören oder sehen. Indem man Zeilen überfliegt, weghört oder -sieht, ist es nicht einfach weg. Die Kindertaktik zugehaltener Augen und Ohren klappt leider nicht. Žižek findet aber, man brauche gebildete Leute, die hinsehen und sich nicht einigeln. Gut, das alles führt an dieser Stelle zu weit. Zurück zum eigentlichen Faden.

Viele Studenten in den Vereinigten Staaten führen nun einen Kampf für eine oberflächlich betrachtet »gute Sache«. Aber sie verlieren den Maßstab. Ein anderes Beispiel ist, dass man einem Professor sofort Rassismus unterstellte und einen Kampagne gegen ihn startete, weil er zwei asiatische Studentinnen miteinander verwechselt hatte. Das erinnert stark an Philipp Roths »Der menschliche Makel«, in dem ein weißer Professor aufgrund rassistischer Vorwürfe suspendiert wurde, weil er zwei Studenten, die noch nie eine seiner Vorlesung besucht hatten, als immer abwesend notierte und sie daher im Scherz »dunkle Gestalten« nannte. Er wusste nicht, dass die beiden Afroamerikaner waren. Man erfährt im Verlaufe des Buches, dass der Professor selbst aus einer schwarzen Familie stammt, ein angeborener Gendefekt war verantwortlich für seine weiße Haut. Der Aufschrei dieser Gutmenschen mäht alles nieder, könnte man aus dieser Story ableiten.

Sich so heillos zu verfransen zwischen »guter Sache« und »schlechtem Stil«: Das ist es, was ich als »Gutmenschentum« kenne. An deutschen Universitäten geht es nicht so viel anders zu. Es ist nur (noch) etwas ruhiger. Der Frankfurter AStA sieht Unisex als größtes Projekt des Augenblicks an; Unisex-Toiletten müssen deswegen nun unbedingt an Hochschulen. Kritik daran ist obsolet, sofern man nicht als Sexist betitelt werden möchte. In dieser Sache sind einige Studenten wahre Gutmenschen. Wenn dieselben jungen Leute aber am gleichen Abend ehrenamtlich helfen, um Geflüchteten ein halbwegs angenehmes Dasein im Exil zu bereiten, dann sind sie nicht Gutmenschen, sondern eben Leute, die etwas Gutes tun wollen. Und ihren Einsatz verbal zu verteidigen gegen die Menschenhasser, das ist legitim. Solche aber, die nicht helfen können oder wollen dann in die moralische Garotte zu wickeln, das ist schon wieder etwas anderes.

Denn der Gutmensch verbeißt sich in was, wird zu einem unleidlichen Mitmenschen, entzündet Shitstorms und verweigert im Namen seiner hehren Gesinnung jegliche Toleranz anderen Ansichten gegenüber. Er selbst will natürlich toleriert werden. Voll und ganz. Aber jeder, der nicht exakt dasselbe schlussfolgert, der braucht keine Akzeptanz zu erwarten. Harald Martenstein brachte vor weniger als einen Jahr in seiner Kolumne eine passable Definition für das, was ein Gutmensch ist: Einer der »glaubt, dass er, im Kampf für das, was er für »das Gute« hält, von jeder zwischenmenschlichen Rücksicht und jeder zivilisatorischen Regel entpflichtet sei. Beleidigungen, Demütigungen und sogar Gewalt sind erlaubt«. Problem war bei diesem Text nur, dass er das als Neudefinition des Begriffs »Gutmensch« empfahl. Aber das war und ist nicht neu, das ist exakt der Gebrauch des Wortes, den ich seit Jahren kannte.

Ist nun die »Kür« des Begriffs zum »Unwort des Jahres« ein Fehlgriff? Gar nicht. Denn die Rechten haben ihn ja umgedeutet. Das haben sie nicht aktuell getan. Seit Jahren gebrauchen sie den Begriff als Label für Naivität, weil man Alten, Kranken und Fremden hilft. Sie verspotten so den Einsatz. Jetzt ist das Wort eben massentauglich geworden. Ursprünglich hätte man aber jemanden als Gutmenschen bezeichnet, wenn er etwas tut (sei es nun helfen oder etwas anderes) und sein Tun als Maßstab für alle auferlegt und sich arrogant artikuliert und einen »heiligen Krieg« entfesselt, weil nicht alle so ticken, wie er es tut. Die Umdeutung dieses Begriffs ist durchaus preiswürdig. Denn für mich war mancher Grüne, der Hartz-IV-Beziehern Bioprodukte ans Herz legte oder Kriegseinsätze absegnete, damit das muslimische Patriachat geschwächt würde, das Paradebeispiel für einen solchen Typus. Dass es hilfsbereite Menschen sein könnten, habe ich nie in Betracht gezogen.

Und da es immer auch um Deutungshoheit geht, auch oder gerade bei Begriffen, weigere ich mich das Wort in meinem alltäglichen Gebrauch einzuschränken oder totalitär abzuschaffen. Ich sage es ohnehin nicht so oft. Aber eine Schere im Kopf lasse ich nicht zu. Es kommt auf die Deutung an. Und dieser Text ist ein Versuch, den Begriff zu deuten. Wer mir was anderes unterstellt, wer mich jetzt anfeindet und mich moralisch diskreditieren möchte, der kommt dem nahe, was ich unter dem Wort verstehe.

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... wenn man trotzdem lacht

Dienstag, 9. Februar 2016

»Das Fließband, es ist der Herr.
Ich bin sein Getriebe.
Es herrscht, ich unterwerfe mich.
Trotzdem schätze ich es wie nichts.
Gezwungen habe ich mich, es zu lieben.
Ich bin unterwürfig, weil es ein verständigerer Herr ist, wenn ich gefügig bin und es nicht verachte.
Ich zerfließe am Zerfließband, dann ist es stolz auf mich.
Ich danke dem Fließband, es gibt mir Brot und lenkt mich vom Hunger ab.«
- Herta Müller, »Der König verneigt sich und tötet« -

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Schlagsahne auf Kuchen in Schrebergärten

Montag, 8. Februar 2016

Dass man diese Alternative, die sie für Deutschland sein will, immer in erster Linie als rassistischen und isolationistischen Haufen in den politischen Debatten anführt, ist ein etwas ärgerlicher Umstand. Sie ist so viel mehr. Oder sagen wir besser: Sie ist so viel weniger. Ihr chauvinistischer Rassismus ist nur eine Komponente aus einem Weltbild, das wie aus Zeiten Adenauers zu kommen scheint. Oder aus einer jener niedlichen Vorstädte der Eisenhower-Ära. Die Abbreviatur AfD ist die gellende Sehnsucht nach exklusiver Gemütlichkeit und übersichtlichen Provinzialismus. Ja, Harmoniesucht am Ende. Die Feindlichkeit gegenüber Fremden ist nur eine Facette dieser Weltbetrachtung.

Die Bloggerin Kattascha hat erst neulich das Wahlprogramm der AfD in Baden-Württemberg quergelesen. In Stichpunkten und Auszügen, was dieser Bande so vorschwebt: Bürgerarbeit für Arbeitslose; Werbung für Mutter-Vater-Kind-Beziehung bei den Rundfunkanstalten; Abkehr von der CO2-Lüge; Abkehr von den umweltbelastenden erneuerbaren Energien, stattdessen zurück zur Kernkraft; Lockerung des Datenschutzes; Einführung eines »Heimatschutztages«; Schutz der Jugendlichen vor promiskuitiven Inhalten; konsequente Durchsetzung schulischer Disziplin; Verbot von Abtreibungen; Senkung der Scheidungsrate; keine »volkserzieherische Überhöhung von nicht heterosexuellen Menschen« mehr; Abschaffung von Transsexualität; Ehe nur zwischen Mann und Frau; kein »falsch verstandener Tierschutz« mehr.

Man sieht, diese sich wie eine Partei gerierende rassistische Bewegung ist außerdem ein Sammelsurium kleinbürgerlicher Affekte und Feuchtträume, eine bequeme Illusion voller Behaglichkeit und Heimeligkeit im nicht haargenau definierten Volkskörper. Jener ist aber in jedem Falle ein Exklusionsmodell, in dem nicht nur nicht Fremde inkludiert werden, sondern auch alle anderen gesellschaftlichen Gruppen, die dem Wohlgefühl der Fünfzigerjahre nicht zupass kommen. Homo- und Transsexuelle werden an den Rand gedrängt, ja die Sexualität selbst wird mit einer historisch längst überholten Verklemmtheit angefasst, sodass jeder offene Diskurs über geschlechtliche Neigungen, der ein halbwegs unbefangenes Leben garantierte, vollkommen verunmöglicht wird. Wer Konformität lebt, der ist Teil der exklusiven Gesellschaft, lebt die Vorbildlichkeit; Normabweichungen werden im Wahlprogramm (und bei Wahlerfolg in Realität?) wie Aussatz und psychische Erkrankungen behandelt.

Diese Einstufung von nicht konformen Lebensmodellen ist selbstverständlich nicht zeitgemäß, weil eben nicht im Ansatz wissenschaftlich begründbar. Es baut auf auf Befindlichkeiten, auf Bauchgefühl, auf Vorurteilen und Vorverurteilungen. Man will Homosexualität von der Bildfläche verschwinden lassen, nicht weil man es begründen könnte, weil es gute Argumente dafür gäbe, sondern weil man es für eine Perversion hält, die durch nichts zu entkräften ist - nicht mal durch Erklärungen, wonach gleichgeschlechtliche Liebe eine völlig normale Erscheinung im Wesen des menschlichen Geschlechts ist, evolutionär und biologisch erklärbar. Gleichfalls beim Klimawandel. Man hält ihn für eine Erfindung, nicht weil man etwa wüsste, dass es so ist, sondern weil man es hofft, weil man möchte, dass sich nicht verändert und man jegliche globale Veränderung einfach als Lüge abstempelt. Verdrängung statt Aufarbeitung, Scheuklappen, wo man Lupen bräuchte: Das ist diese Alternative, die sie sein will, wirklich und tatsächlich.

Das ist überhaupt der Impetus schlechthin bei diesen Leuten. Sie verdrängen, dass das moderne Leben nicht mehr so eindeutig ist, wie es vielleicht noch vor vierzig oder fünfzig Jahren gewirkt haben mag. Die Stimmung der Fünfzigerjahre, Schlagsahne auf Kuchen in Schrebergärten, Papa mit sicherem Arbeitsplatz, Mutti daheim und allezeit mit offenem Ohr, mehr Zusammenhalt unter Nachbarn, die auch zusammenrückten, um es den Gastarbeitern zu vermiesen; ja, diese unsäglich nostalgische Gemütlichkeit, die zwischen Heinz Erhardt und Schlagern herausstach, die kinderreiche Familien hervorbrachte, die heute im Rückblick, wenn man mal nicht kritisch hinterfragt, so ein Gefühl für Romantik aufkommen lässt – das alles treibt diese »Alternativen« an.

Sie wollen indes ja auch gar keine Alternative sein, also nicht »eine weitere Möglichkeit« anbieten - was das Wort per definitionem ja bedeutet -, sondern etwas Altes anpreisen. Alternativ bedeutet der lateinischen Herkunft nach (alter für »das Andere« und nascere für gebären), dass etwas »aus dem anderen geboren« wird. Aber die AfD will nicht aus dem Status quo etwas Neues zur Welt bringen, sondern eine Leiche ausbuddeln und etwas Makeup draufklatschen. Gewissermaßen einen Gesellschaftsentwurf reanimieren, der in seiner Ausformung schon lange keine Alternative mehr war, nur in der spießigen Behaglichkeit der Nachkriegs- bis Anfang der Siebzigerjahre den Alltag prägte, danach aber langsam als unhaltbar verabschiedet wurde und abstarb, sich nur in überschaubaren Nischen wie dümmlichen Stammtischen oder ewiggestrigen Verbänden als Kuriosum halten konnte.

Man kann und sollte diese Herrschaften nicht nur auf ihren Rassismus reduzieren. Der ist natürlich unhaltbar und man muss ihm Einhalt gebieten. Aber hinter dieser Truppe steckt so viel mehr an traurigem Potenzial. Da leiden Mitglieder wie Anhänger an einer deutschen Harmoniesucht, an Nostalgie, an Sehnsucht nach einer verklärten guten alten Zeit, in der kleinkarierte alte Herren und graue Damen die Republik in Konventionen und Konformität parzellierten, kalte Krieger mit Atomwaffenbereitschaft spielten und jegliche gesellschaftliche Dynamik als fatales Vorzeichen eines untergehenden Abendlandes betrachteten. Damals war das eine Weile zeitgemäß, bevor die Jugend ausbrach – heute ist dergleichen keine Alternative, sondern bloß der Rollback einer Lebensweise, die von der gesellschaftlichen Evolution lange weggewischt wurde.

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Georg Kreisler ist tot

Freitag, 5. Februar 2016

Am Dienstag ist es geschehen. In Salzburg. Kreisler wurde 89 Jahre alt. Habe es eben beim »Neuen Deutschland« entdeckt. Er sei »ein Meister des schwarzen Humors gewesen«, schreiben sie dort. Das macht mich traurig, sehr betroffen. R.I.P. und so. Alle sterben sie in letzter Zeit weg. David Bowie, Glenn Frey, der Lemmy, den ich vorher gar nicht kannte, Donna Summer und nun auch noch Georg Kreisler. Ich werde das gleich mal auf meiner Pinnwand anbringen. Bei Facebook drüben. Da erfährt man viel, wenn man seine Chronik so betrachtet. Wie ein kleines Nachrichtenportal. Dort werde ich Kreislers »Meine Freiheit, deine Freiheit« als »in memoriam« posten. Seinen Namen in Großbuchstaben. Ist ja doch eine Schlagzeile. Und Schlagzeilen setzt man in große Lettern. Es soll ja jedem gleich ins Auge stechen.

Neulich erfuhr ich vom Tode Donna Summers. Jemand verwies auf einen Artikel von »Spiegel Online«. »Donna Summer ist tot« lautete die Überschrift. Hm, wieder eine berühmte Persönlichkeit aus der Musik-Industrie gestorben, dachte ich mir. Geht derzeit wieder mal Schlag auf Schlag. Zu sagen hatte ich dazu nichts. Ich kommentiere solche Meldungen nie. Was soll man da anbringen? Trauer empfinde ich ja nicht. Und ein hingerotztes »R.I.P.« ist albern. Ich las, was die anderen so schrieben. Eine ältere Frau kommentierte mit »Ja, sterben sie denn alle?«. Drei Stunden war ihr Statement alt. Ein anderer setzte nur einen traurigen Smiley - vor vier Stunden. Zur ungefähr selben Zeit schrieb jemand - obligatorisch - »R.I.P.« und irgendwas von »Hot Stuff«. Einer, der seine Trauer mit dem Werk der Künstlerin verband, der schrieb, dass er ihr Ableben »on the Radio« vernommen hat. Der Artikel wurde mannigfach geteilt. Hie wie da wurde allerdings kommentiert.

Nach zwei Minuten hatte ich ein Déjà-vu. War diese Frau nicht schon mal gestorben? Mir war jedenfalls so. Ich erinnerte mich, dass ich bei der Nachricht an »The Full Monty« gedacht habe, an all die Typen, die in der Schlange beim Arbeitsamt standen und zu Summers Hit ihre kleine Choreographie abspulten. War sie also nicht schon vor längerer Zeit verschieden? Doch, das war sie. Im Mai 2012 um genau zu sein. Erst jetzt verstand ich auch, was einer der Kommentatoren meinte, als er kurz und knackig mit »Schon wieder?« kommentierte. Dasselbe war mir übrigens mit einer anderen Sache kurz zuvor passiert. Man verwies auf einen Artikel, in dem Merkel tönte, dass die Deutschen jetzt TTIP wollten. Na sieh an, dachte ich mir, die Frau hat ganz andere Probleme an der Backe und kümmert sich nebenher auch noch um die Verwirklichung des Freihandelsabkommens. Aber deswegen regt sich keiner öffentlich auf, nur bei der Flüchtlingsgeschichte. Es gab ja nur die vielen empörenden Kommentare unter dem Posting. Stündlich kam ein neuer dazu. Die Sache war aber die: Der Artikel war vom März letzten Jahres, also bereits zehn Monate alt. Aber die Zeitangabe schien tatsächlich niemanden zu interessieren.

Facebook ist wahrlich ein zeitloses Medium. Es schaltet alle zeitlichen Bezüge ab, macht alte Meldungen zur aktuellen Angelegenheit, wenn sich nur eine Masse von Benutzern findet, die das Alte aufwärmt. Plötzlich betrauert man den Tod einer Berühmtheit, die schon lange nicht mehr unter uns ist oder kritisiert die Kanzlerin für Statements, die sie vor einem Jahr abgesondert hat. Man fällt aus der Zeit, schwebt im öffentlichen Raum des Mediums dahin und alles ist gleichzeitig, ist zeitgleich. Ereignisse werden zum Wiedergänger, die man immer wieder kommentiert, immer wieder verinnerlicht, die man immer wieder als Neuigkeit neu in sich abspeichert, um sie scheinbar gleich wieder zu vergessen.

Man verspottet die Dummheit derer, die jetzt bösartig über Geflüchtete herziehen, die ihrem Hass freien Lauf lassen und sich synchron dazu als ungebildete Zeitgenossen outen. Parallel dazu hat man alle Nutzer des Netzwerkes ganz offensichtlich dergestalt abgerichtet, dass sie alles so konsumieren, indem sie es als gegenwärtig akzeptieren und kommentieren. Motto: Erst tippen, dann (vielleicht) recherchieren. Man reanimiert das Vergangene und holt es nochmals neu per Link und Post in die Gegenwart zurück. Das ist auch eine Form digitaler Demenz, eine Variante von Netzwerker-Dummheit. Es gibt viele dieser Sorte: Hasskommentare drüben und Recherchefaulheit hüben. Man ist konditioniert darauf, das aktuelle Geschehen unter »Freunden« zu thematisieren und sich dazu auszulassen, es mit Kommentaren zu versehen. Da man Facebook als Medium voller brandaktueller Meldungen betrachtet, in dem Menschen das Neueste hineinstellen, kann es quasi gar nichts Altes geben. Falls doch, wird der, der den Post erstellt hat, doch hoffentlich eine Kennzeichnung anbringen. Fehlt die, dann ist das Vergangene zurück in der Gegenwart. Wird schon passen, einer wird es schon geprüft haben.

Facebook erfüllt ja mittlerweile den Raum, es ist allzeit präsent. Dass es die Zeit auflöst, das Raum-Zeit-Kontinuum quasi zersetzt, konnten wir ja nicht ahnen. Aber so ist es. Deshalb kann man als meldungswürdige Person immer und immer wieder sterben und betrauert werden. Georg Kreisler starb ja auch schon im November 2011. Aber wer merkt das heute schon? Wir sind schnelllebig, Kommentar raus und vergessen, wenn er drei Jahre und 2 Monate später »wieder stirbt«, ist man schon seit drei Jahren und zwei Monaten drüber hinweg. Man betrauert nochmal, klickt zur Ehre des Verstorbenen und wer weiß, vielleicht stirbt er ja wieder und es sind nochmals welche erschüttert. Weil sie doch damals so gerne sein »Es lebe der Zentralfriedhof« mitgesungen haben.

Schon pietätlos, dass ich hier melde, dass Georg Kreisler tot sei, obgleich er es schon so lange ist, oder nicht? Das stört doch auch seine Ruhe, nicht wahr? Ja, ich bekenne mich dessen schuldig. Kein guter Stil. Andererseits ist er doch ein Meister des schwarzen Humors gewesen. Vielleicht hätte es ihm gefallen, wie sie alle Jahre wieder seinen Tod kommentieren. So ein großes Netzwerk, das wie ein riesiges Gedächtnis wirkt und kaum einer darin, der seines benutzt. Das ist doch fast ein wenig so wie Wien ohne Wiener.

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Wir machen das einfach!

Donnerstag, 4. Februar 2016

Eltern kriegen Kindergartenplätze für ihre Kinder. Patienten Termine beim Facharzt. Die Regierung fackelt nicht lange, spricht Garantien aus. Unvermittelt und ohne Strukturen zu schaffen. Der symbolpolitische Sprecher informiert: Wir machen das; wir schaffen das!

Nun also kriegt jeder Bürger einen Termin beim Facharzt binnen vier Wochen. Schon letztes Jahr hat man verkündet, dass es eine Garantie für die Patienten geben wird. Es gab damals bereits praxisorientierte Kritik. Wie wolle man das denn umsetzen? Facharztpraxen seien bereits jetzt voll und die Öffnungszeiten könne man nicht ins Unendliche verschieben. Macht nichts, sagte der Gesundheitsminister: Wir machen das einfach. Nun gibt es Terminservicestellen. Da ruft man an und bittet um einen Termin beim Rheumatologen. Wenn alles so läuft, wie beabsichtigt, dann kriegt man garantiert einen. Irgendwo. Freie Arztwahl ist nicht. Man geht dorthin, wo gerade Platz ist. Auch wenn man vielleicht vor Jahren schon bei einem bestimmten Rheumatologen war, landet man jetzt eben bei einem anderen Kollegen. Mit etwas Pech in einer anderen Stadt, obgleich am Heimatort drei oder vier dieser Fachärzte praktizieren. Die Kosten für diese verlängerte Anfahrt übernimmt die Krankenkasse selbstverständlich nicht.

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There is no Alternative für Deutschland

Mittwoch, 3. Februar 2016

Honoré Daumier, The Refugees
1848-1855
Die Situation ist verfahren. Jahr und Tag war es Tagesgeschäft der Linken, sich gegen die Merkelschaft zu positionieren. Sie als fatales Narkotikum, als einschläferndes Nachtlied der Demokratie zu entblößen. Man kreidete ihr das Wetterfähnchen an, das sie zur Richtungsangabe ihrer Politik aufstellte, ihre rautenhafte Chuzpe, für sie und ihre Klientel unliebsame Umstände in seichtem Sermon zu ertränken. Diese Frau gilt seit bald elf Jahren als kanzlerschaftliches Organ einer neoliberalen Agenda, das sich zwischen unverbindlicher Symbol- und knallharter Umverteilungspolitik erschöpfte und dieses Dilemma auch noch euphemistisch »Regierungsarbeit« nannte. Kurz und gut, sie musste weg, ersetzt werden durch wen auch immer, beurlaubt werden für eine Behebung dieses Stillstandes, zur Belebung eines progressiven Gemeinwesens. Und jetzt steht man links da und weiß im Augenblick nicht so genau, ob dieser politische Betriebsunfall im Hosenanzug nicht für eine Weile doch noch das kleinere Übel ist, das wir uns lieber bewahren sollten.

So viele wollen sie jetzt loshaben. Vor allem das neue rechte Selbstbewusstsein wirkt darauf hin. Ein Bundeskanzler, eine Bundeskanzlerin dieses Landes sollte nie zurücktreten, weil es diese Weltanschauung gerne so hätte. Das darf nicht aus diesem Grunde geschehen. Daran erkennt man schon, dass trotz der Vorgeschichte, die die Linke mit dieser Frau hat, ein jetziger Rücktritt ein katastrophales Zeichen wäre. Wer soll ihr denn auch folgen? Seehofer vielleicht? Gute Chancen dürfte er ja haben - und holt er dann diese unselige Alternative für dieses Land mit ins Boot? Ausgeschlossen dürfte auch das nicht mehr sein. Die Sozialdemokraten stehen ja als Ablösung nicht parat. Sie wollen und können nicht. Und selbst wenn: Ist Gabriel eine Verbesserung? Dieses TTIP-Männchen, das in letzter Zeit vermehrt zum rechten Populismus neigt, gilt es nun wirklich zu verhindern.

Auch ich halte die Flüchtlingspolitik dieser Frau in vielen Punkten für grundlegend falsch und heuchlerisch. Sie manifestiert sich bequem auf den Schultern freiwilliger Helfer, macht zu wenig Gelder locker, installiert Erdogan als Bollwerk gegen Flüchtende, während sie generös »Willkommen, willkommen!« ruft. Wer das tut, der müsste die Flüchtenden abholen, sie über sichere Routen zu uns kommen und nicht vom Militär eines despotischen Präsidenten an der Peripherie Europas in Schach halten lassen. Schon vorher war es Teil ihrer Asylpolitik, die Hilferufe aus Italien und Griechenland zu ignorieren, sie zu bagatellisieren. Schließlich war man im Zentrum des Kontinents und musste sich nicht um die Erstaufnahme kümmern. Das sollten andere machen. Alleine. Verteilungsquoten lehnte sie ab. Der Asylkompromiss aus den Neunzigern wurde zur europäischen Agenda und hat unter anderem viele Tote im Mittelmeer verursacht. Man verschärfte das Asylgesetz kürzlich sogar noch, statt über die bitteren Folgen der letzten Verschärfungen nachzudenken.

Die Bundeskanzlerin ist nach wie vor eine Person ohne nennenswerte Haltung, sagt nicht Fleisch oder Fisch, hat überhaupt die Aura eines wabbeligen Pfannkuchens, dem auch noch die appetitanregende Bräune fehlt. Sie wirkt nicht verloren auf ihren Posten (sie hat ja Lakaien und Kauder), aber der Posten ist verloren an ihr. Wenn man dann aber sieht, was da in den Startlöchern harrt, dann möchte ich doch am Status quo gerade mal festhalten. Lieber diese Person, als all das Gelichter, das nachrücken könnte. Was ihr an Bräune abgeht, das haben manche ihrer »Nachfolger« viel zu viel. Und eben nicht nur als Teint.

Strohschneider hat neulich im »Neuen Deutschland« gehadert, weil Opposition sich derzeit am Festhalten des Kanzlerinnenkurses erschöpft. Das ist fürwahr tragisch. Letztlich hat die Frau ihren Spleen von der Alternativlosigkeit dermaßen perfektionistisch realisiert, dass sie selbst im Augenblick ihres vermeintlichen Niederganges noch selbst für ihre ewigen Kritiker (nicht die, die erst jetzt damit angefangen haben), wie die letzte Option aussieht. Ja, wenn selbst ihre langjährigen politischen Gegner nun froh wären, wenn es zur Merkelschaft augenblicklich keine Alternative gäbe, dann ahnt man erst, wie vertrackt die Lage tatsächlich ist. Für diesen Bruchteil ihrer Kanzlerschaft, in der es losging, ihren Abtritt als notwendigen Schritt zu deklarieren, wünschte ich mir, es gäbe keine Alternative zu ihr. Aber leider gibt es sie. Eine für Deutschland.

Und die sollte es nicht sein, die die Bundeskanzlerin aus dem Sessel hievt. Brüning musste sicher unbedingt weg, seine Politik war ein Skandal. Aber die Nazis waren doch trotzdem keine Alternative zu diesem miesen Reichskanzler. There was no Alternative für Deutschland. Und sie ist es immer noch nicht.

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Aus fremder Feder

Dienstag, 2. Februar 2016

»Wenn man heute über die Frage des Asylrechts und über die Aufnahme von Ausländern diskutiert, in einer Welt voller Gefahren, in der die extreme Gewalt in immer mehr Staaten zunimmt, so muss man sich zuallererst bewusst machen, dass die Zustimmung oder Ablehnung, sie aufzunehmen, in vielerlei Hinsicht der Macht über Leben und Tod gleichkommt. Ein solches Vorrecht beanspruchen souveräne Staaten für sich, wenn sie im Alleingang über die Öffnung oder Schließung ihrer Grenzen entscheiden wollen. Ob man nun will oder nicht, kommt der politische Wille, Geflüchtete zurückzuweisen und sie so der sicheren Gewalt auszuliefern, einer Billigung von Mord gleich. […] Was der Fremde fordert – als Recht und nicht als Gnade -, ist, dass ihm ganz einfache, bescheidene Dinge zugestanden werden, die zugleich lebenswichtig sind: ein minimaler Schutz für sich und seine Angehörigen, sich arbeitend ein Leben aufzubauen, das heißt »ein nützliches Mitglied der Gesellschaft« zu werden: nicht mehr und nicht weniger also als »das Minimum menschlicher Existenz« […] Dies abzulehnen, ist unmoralisch und verstößt gegen die Menschenwürde. Aus moralischer Sicht ist es durch nichts zu rechtfertigen, zumal sich menschliche Beziehungen prinzipiell auf die Pflicht zu Fürsorge, Hilfe und Rücksicht überall und für alle begründen, welche aus der Verletzbarkeit und Sterblichkeit anderer Menschen resultiert. Natürlich kann es in Anbetracht der Umstände Einschränkungen geben, etwa wenn Bedingungen für die Aufnahme gestellt werden. Aber wer so etwas anordnet, muss wissen, dass er prinzipiell und in jedem Falle ungerecht ist und gegen das verstößt, was die Moral gebietet.«
- Marc Crépon, »Philosophie Magazin«, Nr. 2/2016 -

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Bewerbungen, die sie wie Expertisen aussehen lassen

Montag, 1. Februar 2016

Nun gut, wir wissen jetzt also, dass der Mindestlohn sogar sozialversicherungspflichtige Arbeitsstellen geschaffen hat. Wir wissen expliziter, dass geringfügige Arbeitsverhältnisse umgewandelt wurden, weil sie mit Mindestlohn nicht mehr haltbar waren und die Arbeit ja trotzdem gemacht werden musste. Wir wissen auch, dass einige geringfügige Stellen gestrichen wurden, wahrscheinlich auch, weil einige Geschäftsmodelle auf ausbeuterischen Säulen standen und sie nur geringfügig mit niedrigem Stundenlohn tragfähig waren. Was wir aber immer noch nicht wissen: Warum erkannten das die hofierten Ökonomen dieser Republik vorher nicht? Wir wissen außerdem nicht, wieso diese Ökonomen Lügen verbreiten. Das kann bisher kein Institut beantworten, dazu erhalten wir keine Statistiken.

Für diese Betriebswirtschaftler, die als Volkswirtschaftler durch die Studios turnen, war natürlich eines völlig klar: »Der Mindestlohn? Der, liebe Leute, der kostet euch richtig was ... Wenn ihr den nicht verhindert, dann geht es uns schlecht. Schreibt eurem Abgeordneten!, ruft zum Boykott auf!, tretet aus der Gewerkschaft aus!, wenn ihr den nicht vereitelt, dann seid ihr bald arbeitslos. Dann wandern die Unternehmen nämlich ab. Gehen dann ins Ausland, dorthin wo man ihnen keine Vorschriften macht ... Der Mindestlohn ist eine gefährliche Waffe, liebe Zuschauer. Man darf ihn nicht bloß wegen ideologischer Gründe einführen. Ideologie macht alles kaputt, wie man weiß ... Was sagen Sie den Bürgern, Herr Minister, wenn sie plötzlich ihre Kündigung erhalten? ... Verhindert ihn! Zur höheren Ehre des Marktes.«

So sprach diese Clique mehrheitlich. Manche schlugen einen schrecklichen Gelehrtenton an, ergaunerten sich so den Ehrerbietung des Publikums. Andere warnten konziliant. Dich man muss sich einfach weigern zu glauben, dass diese Leute einen so einseitigen Blick auf die Wirtschaft haben, als dass sie wirklich annehmen konnten, dass Unternehmen einfach zu Flüchtlingen würden; dass Arbeitsplätze ohne viel Federlesens wegfallen, obgleich doch Arbeit da war, die verrichtet werden wollte. Angebot und Nachfrage. Aber diese Angebotsökonomen haben den zweiten Aspekt einfach ausgeblendet. Für sie ist der (Arbeits-)Markt kein Ansammlung voller Dynamiken, sondern ein Feld, auf den Unternehmen generalisch Takte vorgeben. Sie sind die Macher, also muss alles sich ihren Interessen unterordnen. Dass aber Unternehmer genauso flexibel im Hinblick auf soziale Rahmenbedingungen sein können und müssen, wenn es weitergehen soll, hört man von ihnen eher nicht. Sie stellen Unternehmen als starre Kolosse dar, die bei jeder noch so kleinsten Modifikation am sozialen Rahmen völlig vor den Kopf gestossen sind und wanken. Also fordern sie zur Unterlassung auf, denn wenn die tönernen Füße Risse kriegen, dann kracht alles ein.

Andererseits ist man so stolz auf die stabile Wirtschaft und die Unternehmen. Was denn nun? Sind sie stabil oder brechen sie gleich ein, weil mal nach langer Zeit die Personalkosten angeglichen werden mussten? Das muss ja ohnehin ein windiges Geschäft gewesen sein, das Stabilität auf Kosten einer Belegschaft generierte, die einen Hungerlohn erhielt.

So oder so muss man sich wieder mal fragen: Sind die Sinns, xxx und xxx alle ahnungslos oder lügen sie wie gedruckt und die Presse druckt ihre Lügen? Sie haben keine schon damals keine Krise gesehen, diese Alchimisten, haben bis kurz davor ihr Credo gepredigt, nicht gewarnt, es entweder nicht erkannt oder es passte ihnen halt nicht in den Kram. Wie auch immer. Wahrscheinlich wird sein, dass sie natürlich wie eh und je wussten, dass ihre »absolute Wahrheit« eine von vielen möglichen Entwicklungen ist, die der Markt nehmen kann, aber nicht zwingend muss. Nach vorne ist immer alles offen, Wenn-Dann-Strategien sind ungeeignet, weil es so viele Dynamiken, Motivationen und versteckte Abläufe gibt, dass man nie genau sagen kann, was folgerichtig geschehen könnte oder nicht. Sie verkaufen seit so vielen Jahren ihr Metier als exakte Wissenschaft. Das ist es aber nicht. Ökonomie streift so viele Felder, so viele gesellschaftliche Nischen, dass nie und nimmer Genauigkeit erlangt werden kann. Und das wissen diese homini oeconomici auch ganz genau. Sie geben es nur nicht zu.

Dass also ein Lohnstandard plötzlich den Untergang der Wirtschaft verursachen würde, kann man sich ausmalen und sicherlich auch mit Thesen unterfüttern. Es kann aber auch das Gegenteil geschehen. Oder gar nichts. Und einen so genannten Fachmann könnte man sich so in seiner Vorstellung ausschmücken, dass er jegliche Option offenlässt. Oder lieber gar nichts sagt. Wenn man als Privatmann unliebsame Aspekte unterschlägt, zum Beispiel bei einem Bewerbungsgespräch, dann ist das keine klassische Lüge und eher akzeptabel. Man will doch für sich werben, Nachteiliges muss man da nicht vertiefen. Wenn man hingegen als Fachmann befragt wird und einen Teil der gesamten Komplexität einfach nicht ausspricht, dann ist es allerdings schon weitaus mehr. Dann kann man getrost sagen: Es ist gelogen.

Nun gut, wahrscheinlich sahen und sehen viele dieser Zunft ihre öffentlichen Auftritte auch als Bewerbungsgespräche, man will ja auch mal in einen Aufsichtsrat reinrutschen, einen Versicherungsvorstand um sein Know-How bereichern. In diesem Lichte betrachtet hätten sie also nicht gelogen, sondern einfach nur Werbung für sich gemacht und die unliebsameren Teile verschwiegen. Es ist jedoch unhaltbar, dass diese Betriebswirtschaftler ihre Bewerbungen in aller Öffentlichkeit austragen und es »Expertise« nennen!

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